Seite:Das Ausland (1828) 115.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 27. 27. Januar 1828.

Die Agraviados in Spanien.[1]


Eine der räthselhaftesten Erscheinungen unserer Zeit, und gewiß selbst für manchen Staatsmann eine der unerwartetsten, war – nach dem vollendeten Siege der Hierarchie und des Despotismus in Spanien – das Auftreten der Agraviados: ein Aufstand der treuesten Unterthanen des Königs gegen den König zu Gunsten des Königs, gegen die Regierung der absolutesten und grausamsten Willkür, weil sie nicht willkürlich und grausam genug sey. Wer indessen den Gang der Ereignisse seit dem zweimaligen Umsturze der Constitution mit aufmerksamern Blicken verfolgt hatte, dem konnte es unmöglich entgangen seyn, daß die siegende Parthei von Anfang an aus zwei völlig entgegengesetzten Elementen bestand, die sich nur zur Erreichung eines gemeinschaftlichen Zweckes verbunden hatten, und daher nach der Erreichung dieses Zweckes nothwendig früher oder später in offene Gährung ausbrechen mußten. Und wer auch nur die Begebenheiten des Tages, ohne ihren tiefern Zusammenhang im Ganzen zu übersehen, vorurtheilsfrei betrachtete, der mußte bemerkt haben: daß nicht die Anhänger der Cortes, sondern die angeblichen Vertheidiger des Thrones, die wahren Revolutionärs waren, wenn wir unter Revolutionärs die Feinde der gesellschaftlichen Ordnung verstehen; daß die Bewegung, welche vorgeblich nur gegen die von den Cortes eingeführten Gesetze gerichtet war, eigentlich weniger den Cortes, als den Gesetzen überhaupt galt.

Agraviado heißt im Spanischen ein Mensch, dem man eine Ungerechtigkeit (un agravio) hat widerfahren lassen, indem man Dienste, die er geleistet, nicht belohnte, oder indem man dieselben verkannte.

Die Menschen, welche einen Theil der sogenannten Glaubensarmee ausgemacht haben, sind fest überzeugt, daß Ferdinand VII es nur ihren Anstrengungen verdankt, wenn er sich von einer ihm verhaßten Constitution befreit findet, die seinen freien Willen doch selbst in Sevilla und Cadix kaum so sehr beschränkt haben dürfte, als dieß gegenwärtig durch seine Freunde, die Royalisten, geschieht. Diese behaupten ihm die volle Machtvollkommenheit der absoluten Gewalt zurückgegeben zu haben; aber es versteht sich von selbst, daß diese Macht nicht anders ausgeübt werden darf, als durch sie selbst und gegen die, welche sie Negros nennen, d. h. gegen alle Spanier, welche Vermögen oder Bildung besitzen, und daß dieß nicht immer geschieht, ist ihre vorzüglichste Kränkung (agravio). Da sie beständig von der Ueberzeugung ausgehen, daß sie allein die Contrerevolution bewirkt haben, und daß sie Frankreich dabei weniger, als nichts verdanken: so gibt es natürlich keine Forderung, die sie sich nicht berechtigt hielten, an den König zu machen, welchen sie Negro nennen, so oft, durch einen freilich seltenen Zufall, der Staatsrath Sr. Katholischen Majestät eine vernünftige Maaßregel ergreift, oder ein Mitglied aufnimmt, welches kein völliger Dummkopf oder Tollhäusler ist. Daß ein Häuflein constitutioneller Milizen sie aus Spanien vertrieben hatte, ehe der französische Sanitäts-Cordon sich in eine Invasions-Armee verwandelte, ist ihnen völlig aus dem Gedächtniß entfallen; und wie sehr das französische Cabinett, wenn es irgend etwas von der Dankbarkeit dieser Leute erwartete, sich getäuscht hat, bedarf daher kaum einer Erwähnung.

Als die französische Regierung der apostolischen Parthei in Spanien Hülfe lieh, beging sie daher nicht bloß einen großen Fehler, sondern auch ein doppeltes politisches Verbrechen: einmal gegen ihr eigenes Land, indem sie demselben die Kosten eines ungerechten Krieges auflegte, von welchem ihm nie der geringste Vortheil werden konnte, sodann gegen einen Nachbarstaat, der es auf keine Weise beleidigt hatte, und, im Begriff, durch eine, wenn auch noch so mangelhafte, Reorganisation aus dem Zustande der Auflösung heraus zu treten, in welchen Priesterherrschaft und Fanatismus ihn gestürzt hatten, gestört und allen Convulsionen preisgegeben wurde, die aus einer Zerrüttung der edelsten Lebenskräfte hervorgehen müssen. Die Parthei, welche Frankreich im J. 1823 seiner Unterstützung würdig hielt, bestand fast ausschließlich aus dem verworfensten, unwissendsten, armseligsten Gesindel, mit einem Worte, aus der Hefe der Nation. Dem französischen Ministerium, so schlecht es auch unterrichtet gewesen seyn mochte, konnte dieß unmöglich verborgen geblieben seyn; es wußte, daß zwar die Mehrheit der Spanier, die Masse des Volks – wie die Mehrheit bei den meisten andern Nationen des Continents – sich wenig um politische Institutionen kümmerte, und in Bezug auf die Form seiner Regierung indifferent war, daß aber diese Mehrheit auch keineswegs

  1. Vergl. Les Agraviados d’Espagne, suivi de notices sur les hommes qui ont joué un rôle dans les affaires d’Espagne depuis l’abolition de la Constitution des Cortes en 1823. Par F. C. Paris 1827. 8., und die trefflichen Aufsätze über Spanien, von A. H. (Huber) in den „Politischen Annalen.“
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_115.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)