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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 29. 29. Januar 1828.

Reisen eines Orientalen in Europa.


Wenn Fremde, die fernen Nationen angehören, Europa bereisen, so sind sie ein Gegenstand der allgemeinen Neugierde. Der große Haufe gafft sie mit einer Verwunderung an, die bald dem Lachen, bald der Verachtung näher ist, blos weil ihre Hautfarbe, ihre Kleidung und ihr Betragen so verschieden von den unsrigen sind. Die Gebildeteren betrachten sie mit nicht geringerem Interesse, wenn auch von einem andern Standpunkte. Sie suchen den Eindruck aufzufassen, welchen die neuen Gegenstände, die den Fremden umgeben, auf sein Inneres hervorbringen, und je gebildeter er ist, desto interessanter wird uns seine Anschauungsweise. Es gewährt ein eigenthümliches Vergnügen, den Eindruck zu beobachten, den unser Leben auf ein von allen unsern Vorurtheilen freies Gemüth macht, auf einen Menschen, dessen Art zu denken von der unsrigen wesentlich verschieden ist. Der Lust, die wir an der Neuheit seiner Auffassungsart empfinden, liegt mehr als bloße Neugierde zum Grunde; wir suchen eine Erweiterung unserer Menschenkenntniß. Denn der Mensch ist eben so wenig im Stande, die Sitten und Gebräuche der Gesellschaft, in welcher er lebt, unpartheisch zu beurtheilen, als über seine Persönlichkeit eine durchaus von jedem unlauteren Beisatze freie Ansicht zu haben. Wir müssen uns gestehen, daß unsere Denkungsart großentheils von der Gewohnheit abhängt, und daß sie nach einer bestimmten Form gemodelt wird. Wir würden das Thörichte, Ungereimte und Fehlerhafte, welches in unserm geselligen Leben liegt, gar nicht kennen, wenn es nicht von Leuten hervorgehoben würde, die nicht mit unsern Vorurtheilen und Sitten aufgewachsen sind, sondern ihrem eigenen Gefühl folgen. Der Vortheil jedoch, uns mit fremden Augen zu sehen, wird uns nur selten zu Theil; es giebt wenig außereuropäische Reisende, die ihre Beobachtungen niederschreiben, und wenn es geschieht, ist es uns überdem noch erschwert, näher mit solchen Werken bekannt zu werden; die Uebersetzer verstehen entweder die Sprache des Fremden zu wenig, oder suchen ihn zu verbessern, wenn es ihnen scheint, als habe er unsere Gewohnheiten als Karikatur gezeichnet. So werden wir eines guten Schutzmittels gegen Einseitigkeit und Vorurtheile beraubt. Doch wollen wir auch keineswegs läugnen, daß Selbsttäuschung, falsche Vorspiegelungen und zufällige Irrthümer den Fremden unsere Angelegenheiten oft ganz anders erscheinen lassen, als sie in der That sind.

Mag man übrigens über diesen Gegenstand denken, wie man will, so wird doch der Bericht eines gebornen Bengalen über seine Reise in Europa auf allgemeines Interesse Anspruch machen können. Der Lieutenant Alexander, der früher seine eignen Reisen in Ava und Persien dem Publikum mittheilte, hat kürzlich in London ein Werk herausgegeben, welches den Titel führt: „Shigurf Namah i Velaët,“ d. i. Vortreffliche Nachricht über Europa. Der Verfasser dieser Schrift, Mirza Itesa Modin, sagt, er sey in der kleinen Stadt Panchnöur in Bengalen geboren. Während der Regierung des Nabob Jaffer Ali Khan stand er in freundschaftlichen Verhältnissen mit einigen der Ober-Munschis seines Hofes, und erlangte auf diese Weise eine große Geläufigkeit in der persischen, d. i. der Hof-Sprache. Später trat er in die Dienste des Major Park, den er auf dem Feldzuge begleitete. Nach dem Frieden wurde ihm die Ehre einer Audienz beim Schah Alum, dem Monarchen von Dehli. Als Lord Clive von diesem Fürsten einen Auftrag für die Compagnie erhielt, bat der Shah, wie hier erzählt wird, man möchte ihm eine englische Armee in der Nähe lassen, was aber Lord Clive ablehnte, „ohne den Befehl des Königs von England.“ Darauf schrieb der Mogul einen Brief an Se. Majestät, der mit einem Geschenke von einem Lak Rupien durch einen englischen Offizier, dessen Namen Hr. Alexander aus Delicatesse verschweigt, nach England gesandt wurde. Itesa Modin begleitete ihn als Munschi. Er verließ im Jahre 1765 Calcutta auf einem französischen Schiffe, legte bei der Insel Maurice und dem Kap an, lief in den Hafen von Nantes ein, und gelangte über Calais nach England. Im Jahre 1768 kehrte er wieder nach Bengalen zurück.

Das Original, welches nur handschriftlich vorhanden und sehr selten ist, war in persischer Sprache geschrieben. Hr. Alexander hat es zum Gebrauch derer, die die Sprache lernen wollen, ins Hindustanische übersetzt, und eine freie englische Uebersetzung hinzugefügt, um die Neugierde seiner Landsleute zu befriedigen.

Wir sehen uns hier darauf beschränkt, einige interessante Bemerkungen auszuheben, welche Mirza über europäische Sitten macht.

Als Mirza zuerst seinen Fuß auf französischen Boden setzte, wunderte er sich ungemein über die Holzschuhe, welche die ärmeren Klassen trugen, und worin sie auf eine spaßhafte und sonderbare Art einhergingen. „Einer seiner englischen Reisegefährten hatte ihm erzählt, daß dies


Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_123.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)