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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 30. 30. Januar 1828.

Der Maler David.[1]


Die großen Erscheinungen des neufranzösischen Heldencyklus verschwinden nach und nach von der Bühne; die Zeit des Außerordentlichen ist vorüber. Die Männer, die Wunder gethan, sind jetzt wieder geworden wie andere Menschen, seit der Geist ihres Elias von ihnen gewichen. Auch David, der Apelles des neuen Alexanders? Er gehört zu den Wenigen, die dem dunkeln Schicksale nicht erlegen sind. Für verlornen Reichthum und Ehre hätte er Ersatz finden können; aber der edle Franzose wollte der Gunst der Fremden nichts verdanken. Wenn wir die vorurtheilsfreien Anerbietungen einer deutschen Regierung, die für ihn, den verbannten Regicide, ein Ministerium der Künste schaffen wollte, mit Achtung anerkennen müssen, so bewundern wir den hochherzigen Künstler, der diese Anerbietungen ausschlagen konnte. David ist ein antiker Charakter, wie Carnot; solche Menschen sind selten in unsrer Zeit. Ihre Meinungen können falsch seyn, ihr Leben nie. Carnot war dem Stern Napoleon’s nicht gefolgt, weil ihm der kaiserliche Mantel an dem Konsul Bonaparte nicht gefiel. Napoleon und Carnot, getrennt in den Tagen des Glücks, begegnen sich am Abende ihres Lebens, jetzt über manche Räthsel früherer Wirren enttäuscht, und Frankreich erfreut sich noch einmal des schönen Anblicks zweier seiner Heldensöhne, vereinigt kämpfend auf der Bresche des bedrohten Vaterlands. David war wie Carnot ein begeisterter Republikaner; aber mit dem ganzen Ernste seiner hohen Seele huldigte er dem Genius des großen Mannes, der sein Vaterland mit unsterblichem Ruhm verherrlichte. Ob es die allmächtige Persönlichkeit des Helden-Kaisers war, die David’s Geist überwältigte, oder ob er in ihm die Centripetalkraft der Revolution erkannt hatte, wissen wir nicht; ein Mann, der sich blos vor der Macht beugte, war David nicht. Ueberhaupt ist die Zeit vorbei, wo man, um das Unbegreifliche in die Logik und das Erhabene in die Ebene herabzuziehen, sich der Illusion hingab, daß das ganze Gebäude der Napoleon’schen Welt auf Gewalt und Unterdrückung von der einen, auf Kriecherei und Verkäuflichkeit von der andern Seite beruhe. Aus Gründen des Schlechten wollte man Tugenden erklären! Man irrt freilich, besonders im kleinstädtischen Leben, selten, wenn man von dem juridischen Grundsatze ausgeht: quilibet praesumitur malus, donec probetur pessimus; allein eine große Weltansicht ist dieß nicht, und es gibt Dinge, Zeiten und Verhältnisse, wo diese Gemeinheits-Theorie nicht ausreicht, die einem praktischen Kriminalisten gute Dienste leisten mag. Wir wollen also bis auf weitere Beweise präsumiren, daß nicht die jährlichen 12,000 Fr., womit der Kaiser die Verdienste seines ersten Malers ehrte, es waren, die aus David, dem Republikaner, den Napoleonisten machten, und diesen scheinbaren Widerspruch einstweilen auf sich beruhen lassen.

Es kann nicht unsre Absicht seyn, das, was im Leben David’s, wie in jedem Künstlerleben, vorkommt, hier besonders auszuheben; es ist die Neuheit der Erscheinung, wie die Kunst aus der stillen Werkstätte hervortritt, wie der Künstler, auf die Tribüne seines Volks berufen, der Kunst eine Sprache verleiht und eine Repräsentation gibt, die sie nie gehabt. An sie, die Freundin der einsamen Betrachtung und des stillen Schaffens, die ihre geheimen Freuden mit wenigen Vertrauten zu theilen pflegte, erging der Ruf des Vaterlands, das ihren Händen die Verschönerung des Daseyns, die Verewigung ruhmvoller Thaten, die Belohnung des Bürgerverdienstes, einen Theil der höhern Volkserziehung anvertrauen wollte. Seit dem September 1792 befand sich David als Deputirter von Paris in der Nationalversammlung, die er einmal während 14 Tagen präsidirte. In dieser Zeit übte er im Gebiet der Künste eine Art von Diktatur aus: Die Feste der Republik, die Ehren des Pantheons, Standbilder, Denkmünzen, Inschriften, öffentliche Aufzüge, kurz was der neuen Ordnung der Dinge von Seite der Kunst durch sinnvolle Anordnung oder Ausführung Glanz und Achtung verschaffen sollte, dekretirte oder besorgte er, und einige Werke seines Pinsels aus dieser Periode, z. B. die beiden Gemälde von Lepelletier’s und Marat’s Tode, die sich durch ihre dramatische Wahrheit auszeichnen, sind Zeugen seiner politischen Richtung und Befangenheit. Ihm war der Apologist der Setembriseurs, Marat, ein Phocion; in Robespierre sah er einen neuen Marius. Aber wer hat in den Zeiten bürgerlicher Unruhen nicht wenigstens darin gestrauchelt, daß er sich von Menschen imponiren ließ, die keine Tugend hatten als die Kraft ihres Charakters, kein Verdienst als den Muth unerschütterlicher Grundsätze, keine Weisheit, als die Furchtlosigkeit in der Wahl ihrer Mittel? Die Revolution war es nicht die David erst zum Republikaner machte. Sein

  1. Vie de David, premier peintre de Napoléon, par M. A. Th. (Thibaudeau) Bruxelles 1826.
    Essai sur J. L. David, peintre d’histoire, par M. P. A. Coupin. Paris 1827
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_127.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)