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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 32. 1. Februar 1828.

Zwei Jahre in Konstantinopel und in Morea.


Griechische Flüchtlinge. Konstantinopel. Züge des türkischen Nationalcharakters.

Wir theilen in dem Folgenden unsern Lesern einige Stellen aus einem kürzlich erschienenen Werke über Griechenland und die Türkei mit.[1] Hr. C. D., der Verfasser desselben, schiffte sich im Jahre 1825 auf der königl. französischen Fregatte Galathea nach der Levante ein. Auf der Insel Milos erblickte er zum erstenmale die Schlachtopfer muselmännischer Wuth. „Nur zu oft,“ sagte er, „wiederholte sich mir später dieses furchtbare Schauspiel. Die Griechen, die ich hier sah, waren aus Candia herübergeflohen, verjagt von den Truppen des Kapudan Pascha, die dort gelandet, die Ortschaften zerstört und die Einwohner niedergemacht hatten. Die Höhlen von Milos waren angefüllt mit Weibern, Kindern und Greisen. Sie lagen auf bloßer Erde, von Hunger erschöpft, fast nackt, die Alten in dumpfer Verzweiflung, die Kinder weinend und die Frauen wehklagend. Das bleiche entstellte Gesicht, der erloschene Blick, die blauen Lippen dieser Unglücklichen ließ die Lebenden kaum von den da und dort hingesunkenen Todten unterscheiden. Ich verließ nach kurzem Aufenthalte diesen Ort des Schreckens, da der Anblick zu ergreifend war, als daß ich ihn länger hätte aushalten können.“

Wie alle seine Vorgänger ward der Reisende von dem großartigen Schauspiel hingerissen, welches die Hauptstadt des ottomanischen Reichs von der Seeseite her darbietet. Die Fregatte warf mit Anbruch des Tages vor der Stadt Anker. Der Muezzin rief von der Höhe der Minarets die Gläubigen zum Gebet; eine unabsehbare Reihe von Häusern, tausendfarbig glänzenden Kiosken, Gärten, Todtenäckern mit ihren immergrünen Cypressen, Moscheen mit ihren luftigen Minarets; gegenüber der gewaltigen Stadt aber Scutari und Asiens blühende Ufer, dann der herrliche Seehafen, aus dem ein Wald von Masten aufsteigt, während tausend seichte Barken die Fluthen durchschneiden, endlich die Muselmänner selbst, mit ihrem reichen orientalischen Costüme, dem langen glänzenden Bart, den schönen kräftigen Formen und dem düstern Blick – dies ist das prachtvolle Gemälde, welches vor den Augen des erstaunten Reisenden sich entfaltet. „Aber diese reizende Täuschung verschwindet sogleich, so wie man in die Stadt selbst eintritt. Der Kontrast ist so stark, daß man sich eines schmerzlichen Gefühls nicht erwehren kann. Die Straßen sind eng, schlecht gepflastert, krumm und schmutzig, die Häuser unregelmäßig gebaut, von Holz oder Backstein, weder schön noch fest. Die in unsern großen Städten so lebendige, mannigfaltige Volksbewegung hat hier etwas schweres und eintöniges, was die Einbildungskraft, statt sie zu beleben, vielmehr trübt und hemmt. Die Physiognomie des Türken ist ernst und düster; nie tritt ein Lächeln in seine Züge; er weist jedes Gefühl von sich zurück, das, die Seele befreiend, den Geist weckt: man erkennt in ihm den Menschen, der für den Despotismus bestimmt ist. Blickt man blos auf einzelne Züge des türkischen National-Charakters, so wird man geneigt, manche Schriftsteller, die sich darüber aussprachen, der Verläumdung zu beschuldigen. Der Muselmann ist nicht ohne Hochsinn und Edelmuth, aber ich möchte sagen, seiner Sittlichkeit fehle die Seele. Er ist anmaßend aus Rohheit, grausam aus Neigung, fanatisch und abergläubisch aus Unwissenheit, ausschweifend bis zur Wuth, indolent und träge bis zur Wollust.

Bei tausend Gelegenheiten war ich Zeuge von der natürlichen Grausamkeit der Osmanen; am widerlichsten und gräßlichsten aber spricht sie sich bei den so häufigen öffentlichen Hinrichtungen aus. Zwar zeigt bei ähnlichen Veranlassungen unter allen Nationen der Pöbel eine gefühllose Neugierde; indessen verliert doch hier das Mitleid nicht alle seine Rechte, und jedesmal sieht der Henker mehr als Eine Thräne fließen. In der Türkei hingegen gleichen die Vorbereitungen zu einer Hinrichtung dem Vorspiel eines Festes. Meist wird der Unglückliche auf dem Wege zum Tode mit Hohn und Spott empfangen; sein Jammergeschrei wird lächerlich gemacht, und mit satanischer Freude weidet sich die Menge an den letzten Zuckungen des Schlachtopfers. Ich war eines Tages Zeuge jener fürchterlichen Art von Hinrichtung, durch das Spießen. Von einer spitzigen Eisenstange durchbohrt, die an der linken Seite wieder herausging, erfüllte der Unglückliche den Platz mit seinen gräßlichen Wehklagen; aufs inständigste bat er, bei Gott und seinem Propheten, man möchte ihm

  1. Deux années à Constantinople et en Morée (1825, 1826) ou Esquisses historiques sur Mahmoud, les Janissaires, les nouvelles troupes, Ibrahim Pasha etc. par M. C. D., eléve interprète du Roi à Constantinople, Paris 1827.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_135.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)