Seite:Das Ausland (1828) 142.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Reisen eines Orientalen in Europa.


(Beschluß.)

Von der Schulzucht in England sagt Mirza: „Ich sah, daß die Knaben in einer Reihe auf der Bank saßen, und so ihre Lection lernten. Der Lehrer mit einem ledernen Riemen in der Hand, verhörte sie, indem er bei dem einen Ende anfieng, und die ganze Reihe durchgieng. Wenn ein Knabe beim Hersagen Fehler machte, so schlug ihn der Lehrer ohne Mitleid und ohne Erbarmen mit dem Riemen dermaßen auf den Rücken, daß den weißen zarten Knaben alle Glieder wund waren. Obgleich dies Grausamkeit zu seyn scheint, so ist doch das Sprichwort wahr: des Lehrers Tyrannei ist besser, als des Vaters Liebe.“

Ueber englische Gesetzgebung bemerkt Mirza unter anderm:

„Der Ahndung des Mordes kann man in England nicht durch eine Geldbuße entgehen, wie in Bengalen, wo noch die Gesetze des Abu Muhumud und des Hunifa gelten, nach denen der Mörder, wenn die Verwandten des Gemordeten damit zufrieden sind, freigelassen werden kann, oder, falls sie es nicht sind, der Regierung eine gewisse Summe als Geldstrafe erlegen muß, worauf ihn die Richter begnadigen. In England halten, im Fall einer Mordthat, die Richter lange Rath, und verurtheilen unfehlbar denjenigen zum Tode, der ein Geschöpf Gottes vernichtet hat. – Auch das Gesetz gegen Diebstahl ist in England von dem Gesetz des Muhumuds verschieden; letzteres verordnet nur, dem Diebe die rechte Hand abzuhauen, wenn er mehr als acht Annas gestohlen hat; in England steht auf Diebstahl mit Gewalt, die Todesstrafe. Die Engländer sagen, daß die Strafe des Diebes sich nicht nach dem Werthe des gestohlenen Eigenthums richten dürfe, weil ein Mensch, der einmal stehlen will, so viel nimmt, als er kann; hätte er mehr bekommen können, so würde er mehr genommen haben.“

Wir beschließen diese Auszüge mit folgenden Bemerkungen: „Haben die Engländer hinreichend dafür gesorgt, sich ein bequemes und angenehmes Leben zu sichern, so bemühen sie sich gleichwohl Tag und Nacht ihr ganzes Leben hindurch, sollten sie auch 70 oder 80 Jahre alt werden, ihre Kenntnisse fortwährend zu vermehren; keine Minute bleiben sie müßig. Darin sind sie sehr verschieden von unsern Leuten, die sich für gebildet halten, wenn sie einige indische und persische Gedichte zum Lobe ihrer Gelieben zu singen, oder die Eigenschaften des Weines, des Bechers, der Schenken, oder was sie sonst lieben, zu beschreiben wissen.“

„Die Engländer sind von Natur gute Haushälter; sie verschwenden ihr Geld nicht, und halten es für etwas Entehrendes in Schulden zu seyn. Sie sind ein so berechnendes Volk, daß nicht selten ein reicher Mann nur einen Bedienten hat, der ihn rasirt und ankleidet; außer dem Bedienten hält er dann noch eine Köchin, ein Stubenmädchen, und für seine Pferde einen einzigen Stallknecht. Diese Bedienten besorgen das ganze Hauswesen. Der Herr hat außer dem Hause zu thun, indem er Geschäfte treibt, oder auf die Jagd geht; seine Frau besorgt die Ausgaben, führt die Rechnungen, und hat die oberste Leitung der Haushaltung.“

„Viele reiche Leute, die Familie haben, halten gleichwohl kein Fuhrwerk; wenn sie ausfahren wollen, miethen sie eine Bazar-Kutsche (Fiaker.) Leute von Stande, sogar Prinzen, halten es nicht unter ihrer Würde, einen viertel oder halben Coß[1] in den Straßen oder auf dem Bazar, sey es bei Tage oder bei Nacht, zu Fuß zu gehen; sie nehmen einen Stock in die Hand, und wandern in einfacher Kleidung umher. In dieser Hinsicht sind sie den Rajahs und reichen Leuten unsers Landes gar nicht ähnlich, welche immer von Nukibs, Choddars und Esawuls[2] zu Fuß und zu Pferde, von Fahnen und Festfeuern, von Mahe Muratibs[3], und großer Pracht umgeben seyn müssen. Die Engländer betrachten solche Verschwendung, Pracht und Feierlichkeit, als albern und unnnöthig, und lachen über das Volk unsers Landes, als über Narren und Dummköpfe. Wollte einer von der hohen Kaste in England, sagen sie, sich mit solchem pomphaften Gefolge auf den Straßen blicken lassen, so würden die Gassenjungen der Stadt und des Bazars mit Koth nach ihm werfen, ihn durch Geschrei und Händklatschen verhöhnen, und ihn steinigen. Im Allgemeinen findet man überall in der Welt bei den Menschen Tugenden und Laster; jedes Volk betrachtet gewisse Dinge für sündhaft, und andere für das Gegentheil.“

Die Erzählung des Itesa Modin ist in der englischen Uebersetzung einfach, und selten mit orientalischen Gleichnissen geschmückt. Der Uebersetzer versichert, er habe keine wörtliche Uebersetzung, sondern nur des Verfassers Meinung wiedergeben wollen. Vielleicht hat er hieran nicht wohl gethan: es wäre anziehender gewesen die orientalischen Gedanken auch in ihrem orientalischen Gewande kennen zu lernen. Eine solche figürliche Redensart, die zufällig beibehalten worden ist, und die uns besonders anspricht, können wir unsern Lesern nicht vorenthalten. Der Verfasser nahm traurig von London Abschied, und reiste nach Oxford. Der Anblick dieser schönen Stadt erheiterte ihn außerordentlich, wobei er sein Gefühl mit folgenden Worten ausdrückt: „der Vogel der Freude baute sein Nest auf den Zweigen meines Herzens.“

(Asiatic Journal.)
  1. Coß, die indische Meile, wovon 33 auf einen Grad gehen.
  2. Verschiedene Arten von Paradeoffizieren.
  3. Ehrenzeichen, welche die Gestalt eines Fisches haben.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_142.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)