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Das Ausland. 1,2.1828

Art. 176. Der Friedensrichter hat dafür zu sorgen, daß der Gefangene mit einem Eigenthümer oder Pächter oder dem Vorsteher einer landbauenden Gesellschaft, wie es ihm selbst am besten gefällt, einen Contract abschließe.

Art. 177. Wenn der Gefangene nach Ablauf von acht Tagen noch keine ländliche Beschäftigung angefangen hat, so soll er zu öffentlichen Arbeiten in den Besitzungen der Stadt oder des Fleckens gebraucht, oder auch im Arresthause beschäftigt werden, bis er sich entschließt einen Contract einzugehen: Jeder der diese Gefangenen von öffentlichen Arbeiten abhält, um sie in seinen eigenen Geschäften zu gebrauchen, verfällt in eine Buße von 50 Gourdes, wovon die Hälfte dem Gefangenen anheim fällt, wenn er klagt.

Art. 178. Ist die verhaftete Person ein minderjähriges Kind, so soll der Friedensrichter die Eltern desselben zu erfahren suchen, und es diesen zuschicken.

Art. 180. Jedermann, der als Feldbauer auf dem Lande wohnt, und an einem Arbeitstage während der Arbeitsstunden unthätig ist und auf den Straßen herumläuft, wird als ein Müßiggänger angesehen, verhaftet und vor den Friedensrichter geführt, der ihn das erstemal 24 Stunden einsperrt, und im Wiederholungsfall zu den öffentlichen Arbeiten der Stadt verurtheilt.

Art. 181. Die Beamten der Landpolizei sollen Acht darauf haben, daß die Vagabunden und Müßiggänger sich nicht unter der Uniform der verschiedenen Truppencorps verbergen.

Art. 182. Die Beamten der Landpolizei sollen darüber wachen, daß in ihrem District niemand im Müßiggang lebt. Deshalb haben sie das Recht sich nach der Art der Beschäftigung von allen denen zu erkundigen, die sie nicht bei der Feldarbeit finden, und wenn diese nicht nachweisen können, daß sie arbeiten, so sollen sie wie Landstreicher und Vagabunden behandelt werden.




Die englischen Prediger Eduard Irving und Dr. Chalmers.


(Schluß.)

Dr. Chalmers, dessen Ruf vor einigen Jahren noch so groß war, aber vor dem Ruhme Irvings verschwand, ist sowohl beredter als unterrichteter. Sein Geist hat mehr Umfang und mehr Tiefe; aber ihm mangeln die physischen Vorzüge seines Nachfolges. Ihn muß man lesen, während man Irving hören muß.

In Irving’s Orationen[1] belebt der Glanz des Styls selbst eine ganz gewöhnliche Materie, obgleich die beständige Uebertreibung den Leser trotz der Neuheit und Seltsamkeit der Bilder ermüdet. Dr. Chalmer’s Reden[2] hingegen sind anspruchsloser, ohne alles Theatralische. Die Ueberzeugung, der theologische Gewissenszweifel in seiner ganzen Kraft und Aufrichtigkeit scheint sie diktirt zu haben. Ohne Nebenzweck widmet er sich der Untersuchung einer verborgenen, dornenvollen Wahrheit, und verfolgt sie rastlos auf unbekannten Bahnen. Es ist kein Mensch mehr, es ist der Geist der Controverse selbst, kämpfend mit dem gordischen Knoten der Dogmen und Mysterien, die Stirne hoch aufgezogen, das Auge starr und brennend, die Stimme zitternd und die Phantasie hingerissen in die Regionen des abstraktesten Idealismus. So steht Walter Scott’s bewunderungswürdiges Portrait vor uns: jener alte Balfour von Burley, im Hintergrunde seiner Höhle, die Bibel in der einen Hand, die andere am Griffe seines Degens, mit schäumendem Munde und gepreßter tiefaufathmender Brust, in Visionen versunken, ein Feind des menschlichen Geschlechts.

Diese kalte prophetische Wuth des Dr. Chalmers, dieser raisonnirende theologische Starrsinn kann bei weitem nicht jenes mächtige Interesse hervorrufen, das Irving durch seine Gewandtheit, seine Beredsamkeit, sein glänzendes Feuer jedem Gegenstande mittheilt, den er berührt. Dennoch aber kann man sich nicht enthalten, mit Aufmerksamkeit der ganzen verwickelten Reihe künstlicher Schlüsse zu folgen, welche Dr. Chalmers vor dem Verstande ausbreitet; seine unendliche Spitzfindigkeit, die Sonderbarkeit und Neuheit, so wie die lebendige Verkettung seiner Schlüsse und Demonstrationen, zieht an, indem sie der natürlichen Neigung des menschlichen Geistes entspricht, sich im rasch wechselnden Kampf mit Schwierigkeiten zu versuchen, und sich nur dann besiegt zu glauben, wenn es in aller Form geschieht. Chalmers Beweise können den Leser nie ganz befriedigen, und setzen ihn dennoch sehr in Verlegenheit, darauf zu antworten. Seine Prämissen sind unsicher und seine Folgerungen noch zweifelhafter, aber die einen wie die andern sind wenigstens möglich, und entwickeln und reihen sich mit wunderbarer Kunst aneinander. In seinen Sermons häuft er Hypothese auf Hypothese, kommt von einer unwahrscheinlichen Voraussetzung auf eine noch unwahrscheinlichere, verliert sich in einem Labyrinth unauflöslicher Schwierigkeiten, gibt uns eine Geschichte des Planeten und eine Auseinandersetzung der Absichten Gottes bei den Cometen – und am Ende sind wir doch über alle diese Dinge so unwissend als zuvor, und höchst erstaunt, daß wir es wagen konnten sie erklären zu wollen. So läßt ein gewandter Theatermachinist in der Oper einen Engel oder einen Halbgott sich in die Wolken erheben; wir bewundern seinen Muth, wir zittern für sein Leben: die Illusion ist nicht vollständig, aber dennoch zieht die Geschicklichkeit und die Kühnheit uns an.

Bei Irving hingegen sind seine Gebehrden seine Gedanken, seine Blicke seine Beweise. Ein schlechterer Logiker, aber ein besserer Redner, blühender aber weniger leidenschaftlich, hinreissender aber weniger tief, übertriebener aber weniger scharfsinnig, spricht er mehr zu den Sinnen, Chalmers mehr zum Verstand. Der Eine versteht seine Kunst besser und bringt daher größere Wirkung hervor, während der andere gewissenhafter seinen Beruf verfolgt. So repräsentirt jener in England die Sekte der Anthropomorphisten, dieser hingegen die Theologie der Casuisten.

(New-Monthly Magazine.[3])


  1. Few Orations for the Oracle of God.
  2. Sermons on Astronomy by Dr. Chalmers.
  3. Diese Charakteristik ist aus der Feder des bekannten Hazzlitt, des Verfassers des so eben erscheinenden Life of Napoleon.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_162.jpg&oldid=- (Version vom 7.10.2021)