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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 46. 15. Februar 1828.

Politische Parteien in den Vereinigten Staaten.


(Fragmente aus Briefen.)[1]
Wascissa in Florida, den 11. Februar 1826.

Ich habe Ihnen noch nichts über die Parteien gesagt, welche die Republik theilen, und doch ist dieß zur Vollendung des Bildes, das ich Ihnen geben wollte, unentbehrlich. Hätten alle Menschen gleiche Neigungen, und wüßten alle mit gleicher Weisheit die Mittel zu deren Befriedigung zu wählen, so würde es keine Parteien, keinen Streit, keine Trennungen geben, aber auch keinen Wechsel, keine Mannichfaltigkeit, keine Neuheit. Würden wir dabei glücklicher seyn? Ich zweifle daran. Das Vergnügen besteht in der Erfüllung unserer Wünsche, das Glück in der Befriedigung unserer Leidenschaften. Damit aber unsere Wünsche zu Leidenschaften werden, ist Widerstand nöthig; ohne Widerstand gibt es daher kein Glück.

Aber ein mächtiger Unterschied ist zwischen solchen Parteien, die durch die Grund-Verschiedenheit der höchsten Interessen selbst, für die sie kämpfen, einander gegenüber stehen, und solchen, die nur in der Ansicht über die Mittel, die zu dem gemeinsamen Ziele führen, von einander abweichen. Parteien der ersten Art sind stets unheilbringend und unversöhnlich, weil sie stets auf einer, oft auf beiden Seiten, in unheilbarer Verblendung über das eigne Wohl ihren Grund haben, wie die der wahnsinnigen Volksmasse, die in Spanien: viva el Rey absoludo! muera la nacion! ruft.

Solche Parteien gibt es bei uns nicht: die ersten Grundsätze aller Regierung sind unbestritten. Daß beim Volke die höchste Gewalt sey, dieß ist Gesetz, nicht mehr bloßes Produkt der Spekulation. Das Volk ist berechtigt, auf jede Weise seinen Willen zu erklären, sowohl in einzelnen Stimmen, als in Versammlungen, die jeder Bürger zu berufen befugt ist, und die einen öffentlichen Charakter annehmen, sobald sie eine Majorität enthalten. Das Recht, jeder Unterdrückung zu widerstehen, ist durch die Konstitution anerkannt. Nicht mehr also um Formen und Grundsätze der Verfassung, nur um Verwaltungs-Maßregeln und um Individuen dreht sich der Streit der Parteien. Solche Parteien fördern das öffentliche Wohl: sie sind günstige Winde, die das Schiff des Staates in Bewegung setzen, während jene anderen verderbliche Stürme sind, durch die es untergehen muß. So heftig die gegenseitige Erbitterung seyn mag, so wird sie durch die allgemeine Liebe zur bestehenden Verfassung stets gefahrlos. Bei der letzten Präsidenten-Wahl waren die Vereinigten Staaten von den heftigsten Parteien zerrissen; am Tage der Wahl verschwanden sie alle, oder verbargen sich vielmehr bis zur nächsten Wahl. Niemanden fiel es ein, sich den Formen der Konstitution zu widersetzen, obgleich der erwählte Präsident die entschiedenste Mehrheit gegen sich hatte. Ich habe auf dem Lande sehr stürmische Wahlen gesehen, wobei es weder an Betrunkenen noch an Raufereien fehlte: doch fand ich nie den leisesten Gedanken, die Formen des Stimmens oder die Freiheit der Stimmenden zu verletzen.

Eine Partei besteht nicht in einer Meinungs-Verschiedenheit über eine isolirte Maßregel: sie hat ein politisches Gesetzbuch, worauf sie alles bezieht, wornach sie Menschen und Thaten beurtheilt; sie hat eine Hierarchie, von der sie mehr oder weniger blind geleitet wird. In diesem Sinne gibt es nur zwei Parteien in den Vereinigten Staaten: diese aber werden wohl, wenn auch unter verschiedenen Namen, immer wiederkehren, und so lange dauern, wie unsere Verfassung selbst. Es sind die Föderalisten und die Demokraten. Um ihre Erscheinung zu begreifen, müßen wir bis auf ihren Ursprung zurückgehen, und uns auf eine Erläuterung der verwickeltsten Theile unserer Konstitution einlassen.

Als die englischen Kolonien, nachdem sie lange die lebhafteste Anhänglichkeit an ihr Mutterland gezeigt hatten, endlich gegen die Tyrannei Georgs III und seines feilen Parlaments zu den Waffen griffen, hatte man noch keine Idee von Unabhängigkeit. Wenige nur ahnten dieselbe; die Masse des Volkes war ihr entgegen; selbst Washington hatte anfangs kaum einen Gedanken dieser Art. Die Kolonien bildeten damals 13 Provinzen, jede vollkommen isolirt von der andern, jede mit einer besondern repräsentativen Verfassung versehen, und von einem aus England gesandten Gouverneur beherrscht. Ein gemeinsames Interesse nöthigte sie damals, einen Kongreß, aus den Bevollmachtigten der de facto souverainen Staaten bestehend

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_191.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)
  1. Die Révue trimestrielle, von welcher kürzlich in Paris das erste Heft erschien, theilt diese Briefe, deren Fortsetzung sie verspricht, mit der Bemerkung mit: „Ohne die Anonymität verletzen zu dürfen, ist es uns doch erlaubt zu sagen, daß sie das Werk eines jungen Mannes sind, der, auf den Stufen eines Thrones erzogen, mehr noch aus Liebe zur Freiheit, als aus Schmerz über die verschwundene glänzende Zukuft, Europa verließ, um der Mitbürger eines freien Volkes zu werden.“