Seite:Das Ausland (1828) 200.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Italiener gewonnen. Napoleon hat Italien moralisirt. Die Erziehungsanstalten für junge Frauenzimmer, die er zu Verona und Mailand unter der Leitung der Madame Delort errichten ließ, hatten den wohlthätigsten Einfluß auf die guten Sitten (?). Unter seiner vierzehnjährigen Diktatur ist Mailand die intellektuelle Hauptstadt Italiens geworden, da es vorher kaum durch etwas anders so sehr, als durch seine Gourmandise berüchtigt war. Es wird hier zehnmal mehr gedruckt, als in Florenz, und in den Straßen begegnet man noch einigen hundert vormaligen französischen Beamten, die sich als Männer von Geist vor ihren Landsleuten auszeichnen. Sie spielen die Rolle der Bonapartisten Frankreichs: ihrer Meinung nach brauchte Italien noch zwanzig Jahre des Despotismus und der Gendarmerie Napoleon’s, bis es für zwei Kammern reif würde. Gegen das Jahr 1808 war es in Italien guter Ton, Bücher zu haben. Die Söhne dieser Beamten gehören zu der Elite der italienischen Jugend. Man sehe diese jungen Lombarden in Pavia, wo sie studieren, und man wird denselben Geist, auf italienisch, der in der französischen Jugend ist, auch in ihnen, erkennen. „Welcher Unterschied zwischen diesen jungen Leuten und den Burschen von Göttingen! Die Studenten, welche die Straßen Pavia’s anfüllen, haben nicht die Rosenfarbe der Studenten von Göttingen: ihr Auge, man sieht es, verliert sich nicht in jenes contemplative Schwelgen im Reich der Chimären (?). Sie sind mißtrauisch, schweigsam, menschenscheu; ein eingedrückter Hut auf einem ungeheuern schwarzen Lockenbau aufgepflanzt, bedeckt eine finstere Gestalt, deren olivenfarbene Blässe die Abwesenheit der Behaglichkeit und des Leichtsinns junger Franzosen verkündet. Erscheint eine Frau in der Straße, so nimmt der düstere Ernst dieser jungen Patrioten alsbald einen andern Ausdruck an. Eine elegante Pariser Schöne, welche hieher käme, geriethe in Todesangst; sie hielte alle dieses jungen Leute für Räuber. Das ist es eben, warum ich sie liebe. Nichts von affektirter Süßlichkeit, Lustigkeit, noch weniger Sorglosigkeit. Ein junger poco curante käme mir wie ein Herr vom Serail vor. Der Haß gegen die Tedeski unter den Studirenden zu Pavia ist wüthend. Derjenige genießt einer besonderen Achtung, der Nachts in einer abgelegenen Straße einem jungen Deutschen ein paar Streiche versetzen, oder ihn, wie sie sagen, laufen machen kann. Diese jungen Leute kennen ihren Petrarcha auswendig, und zum wenigsten die Hälfte von ihnen macht Sonnette. Sie sind bezaubert von der leidenschaftlichen Stimmung, die in dem platonischen und metaphysischen Pathos Petrarcha’s sich nicht immer verbirgt.“ Das Mittelalter hatte Italien durch den Haß der Menschen gegen die Menschen, der Städte gegen die Städte vergiftet. Das Heer, welches Napoleon schuf, wo der Bürger von Reggio und Mailand, der düstere Novarrese und der muntere Venetianer oft in derselben Kompagnie dienten, hatte zur Folge: einmal die Bildung einer neuen Sprache, wo der Dialekt der Romagna, welche die tapfersten Soldaten geliefert hatte, vorherrschte; zweitens das Verschwinden jenes Hasses und des Patriotismus der Vorzimmer. – Jede Regierung in Italien hat dem Italiener gegenüber ein schwieriges Verhältniß: seit Jahrhunderten ist man gewohnt, den Souverän für einen Feind zu betrachten, dem man dient, weil er bezahlt, aber dem man nie mit Eifer dient. So ist namentlich der Mailänder ziemlich republikanisch gesinnt: indessen hatte Napoleon verstanden, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen, wiewohl mehr die des Adels und der Reichen; Eugen aristokratisirte die Maßregeln seines Stiefvaters fast mehr als politisch war. Doch gilt das Kreuz der eisernen Krone, das Napoleon bewilligte, noch jetzt für den wahren Adel, weil man bei Ertheilung desselben streng auf die Würdigkeit sah. Ein Maire war in die Ordenspromotion aufgenommen. Anonyme Briefe benachrichtigten den Vicekönig von einer Niederträchtigkeit, die jener früher begangen hatte, die man aber nicht beweisen konnte; auf den einfachen Verdacht hin, gab man dem Maire in der Stille 20,000 Franken, und behielt das Kreuz zurück. Dieses Beispiel wirkte auf die Moralität. In Florenz glänzte das System Napoleons mit allen seinen Vortheilen. Die kleinen Plackereien der französischen Verwaltung waren nirgends sichtbar als in den sogenannten Droits-réunis. Das französische Gesetzbuch, ein Werk der Treilhard, der Merlin, der Cambacérès folgte hier auf die grausamen Gesetze Carl V und Philipp II. In der Lombardei ist der theokratische Einfluß gebrochen seit Joseph II, in Venedig seit Fra Paolo. In Mittelitalien ist am meisten Unsicherheit für die Literatur; Galilai (1633), Giannone (1758), Pellico (in unsern Tagen) büßten im Gefängniß. Nirgends jedoch findet man dieses Heer bezahlter Schriftsteller, das in andern Ländern die Meinung des Volks betrügt. Der italienische Gelehrte arbeitet nach seiner Ueberzeugung; er läßt aber, aus Furcht vor Verbannung oder Gefängniß, selten etwas drucken, so leicht es ihm auch wäre, dieß zu Brüssel unter falschem Namen zu thun. Der Italiener liest nicht wie der Franzose zum Behuf jener pläsanten Conversation, die auf dem Boden des Hoflebens entspringt; wie man eine Leidenschaft für Voltaire und La Bruyêre haben kann, ist ihm unbegreiflich; er liest mit ganzer Seele, und kein Wort darf ihm nur halb verständlich bleiben, so daß auch der Schriftsteller für die ganze Aufmerksamkeit des Lesers schreibt.

(Schluß folgt.)


Neueste englische Literatur.


(Fortsetzung.)
Leigh Hunt’s „Lord Byron und einige seiner Zeitgenossen.“

Nach Napoleon möchte vielleicht Byron der Name seyn, den die letzten Jahrzehnde in den widersprechendsten Beziehungen genannt haben; nur tritt uns sogleich, als ein wesentlicher Unterschied in den Charakteren dieser beiden größten Geister unserer Zeit – nicht von beiden ließe sich mit gleichem Recht sagen; the lions of the day – entgegen, daß der Feldherr jene Art der allgemeinen Aufmerksamkeit eben so sehr vermieden, als der Dichter sie gesucht zu haben scheint. Bei Napoleon war das Aufsehenmachen, wo er sich desselben

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_200.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)