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Das Ausland. 1,2.1828


der Einseitigkeit, mit der sie sich auf die Lehre von Confutse beschränkten. Seine Lehren, und die seiner ersten Schüler‚ so wie einige seiner spätern Anhänger, galten für die ganze chinesische Philosophie, und Tseng-tsé, Tsé-tzé, Meng-tsé und einige andere Schriftsteller dieser Epoche, waren die einzigen Philosophen, mit deren Grundsätzen und Ansichten man sich beschäftigte, und es schien, als hätten die Europäer die Verachtung der Anhänger der orthodoxen, oder eigentlich der offiziellen chinesischen Lehre gegen alle anders denkenden Sekten angenommen. Kaum einige der unterrichtetsten Missionäre hatten die Augen auf die Schriften von Lao-tsé, Hoainae-tsé Tschuang-tsé und so vielen andern geworfen, obgleich die Uebersetzungen einiger abgerissenen Sätze aus ihnen die lebhafteste Neugier hätten erregen sollen; die Gelehrten von der Schule des Confutse vernachläßigten diese alten Schriftsteller und ihre Nachfolger, verstanden sie nicht oder mißverstanden sie, und so gieng es auch den Europäern. Man schrieb ihnen ohne Bedenken, und ohne sie gelesen zu haben, die falschesten Begriffe und die wahnsinnigsten Meinungen zu. Welche Philosophie konnte man von solchen Materialisten, Atheisten, Nihilisten, Astrologen und Schwarzkünstlern erwarten? Die Bücher die von ihnen übrig sind, schienen dunkel und schwierig; man fand es daher weit einfacher und kürzer, sie liegen zu lassen und zu ignoriren. Dieß hat man gethan bis auf die letzte Zeit, in der einige Gelehrte angefangen haben, unsere Kenntnisse in diesem Theil der Geschichte der Philosophie auszudehnen, und zu berichtigen. Das Resultat der wenigen Schriften, welche bisher darüber erschienen sind, die Ausbeute, welche der chinesische Cours von Remusat im College de France in Paris darbietet, und die, welche ein kurzes Studium des Textes selbst dem Verfasser gegeben hat, sind hinreichend um ein wahreres und befriedigenderes Bild von der Entwicklung der Philosophie in China zu entwerfen. Es ist nur ein leichter Umriß, dessen Fehler spätere Meister verbessern mögen.

Das Verhältniß der Mythologie zur Philosophie, welches bei den klassischen Völkern so schwer zu bestimmen ist, ergiebt sich bei den Chinesen mit der größten Bestimmtheit. Ueberall zeigen sich in den alten Büchern Spuren einer ausgebildeten Metaphysik, und es ist fast nicht nöthig den allegorischen Schleier aufzuheben, der bisweilen die Form derselben bildet. Die Entstehung der Welt, und die großen Naturerscheinungen sind einer intelligenten Macht zugeschrieben, zwar oft in einer mysteriösen und dunkeln Sprache, aber ohne Mischung von Fabeln und ohne zusammenhängende Reihen von Mythen, welche im Geist des Volks irgend Leben gehabt haben könnten. Denn man muß wohl unterscheiden zwischen sinnbildlichen Ausdrücken, welche in diesen Dingen unvermeidlich sind, und keinen irgend bedeutenden Irrthum hervorbringen können, und zwischen einer absichtlichen Einkleidung, erfunden um ein Dogma zu verschleiern, oder eine Sage zu bereichern. Der wahre Sinn von Allegorien zeigt sich von selbst, während über mythologische Erzählungen sich gewöhnlich nur mit Hülfe der Tradition etwas bestimmtes sagen läßt.

Die Bildung des Weltalls wurde von den chinesischen Philosophen vor Confutse einstimmig einem intelligenten und allmächtigen Wesen zugeschrieben, das sie Vernunft nannten, oder, wie Remusat [1] es übersetzt, Logos, denn die doppelte Bedeutung des chinesischen Worts Tao zeigt eine Intelligenz an, die sich durch das Wort zur Erscheinung bringt. Diese Vernunft umfaßt die Welt, und war vor ihr. Sie selbst ist unkörperlich, hat aber die Welt geschaffen, wie eine Quelle einen leeren Raum füllt. Sie war unermeßlich, anfanglos, endlos, oder - wie einer dieser Philosophen sagt - ohne Morgen und Abend. Sie dehnte sich aus über Himmel und Erde in alle Theile des Raumes, aber ihre unendliche Feinheit verhindert es, sie zu fassen. Sie enthielt in sich die zwei Prinzipien: das Große und das Kleine, das Licht und die Finsterniß, das Schwache und das Starke; die Gestirne verdanken ihr ihren Glanz, die Berge ihre Höhe, der Abgrund seine Tiefe; sie macht die vierfüßigen Thiere gehen, die Vögel fliegen, die himmlischen Körper bewegen. Sie ist sich Selbstgrund und ihre eigene Wurzel; sie ist die innerste Natur oder das Wesen der Dinge, der große Gipfel oder das absolute Princip, der Herr, der Herrscher, der alle Bewegungen des Universum’s leitet. Sie war Eines vor der Schöpfung der Wesen, und enthielt drei in Einem. Einer der Namen des Herrn des Himmels ist: das große Eins. Der große Gipfel ist intelligent und göttlich, wie der Heilige, der alles versteht, alles erleuchtet, alles sieht, alles kennt, alles denkt, alles bewegt. Die beiden Principien sind nicht geistig und intelligent, sondern die Vernunft, ein unbegreifliches Wesen über ihnen, hat die Intelligenz und die Geistigkeit; die beiden Principien wirken auf tausend Arten gegenseitig auf einander: aber wer hat ihnen diese Bewegung mitgetheilt? Das intelligente und geistige Wesen d. i. der Fürst und der Herr der Schöpfung. Lao-tsé [2] sagt: „Vor dem Chaos, welches der Bildung des Himmels und der Erde vorherging, war Ein unendliches und schweigendes Wesen, unbeweglich und immer handelnd, ohne sich je zu ändern. Man kann es als die Mutter des All ansehen. Ich weiß seinen Namen nicht, aber ich bezeichne es mit dem der Vernunft.“ Später setzt er hinzu: „Gezwungen es zu nennen, nenne ich es Groß. Die Vernunft ist das absolute Seyn aller Dinge, anfanglos, endlos. Das All hat ein Ende, aber jene Vernunft hat kein Ende. Unveränderlich vor dem Seyn der Welt war sie namenlos, aber sie war. Vernunft ist der einzige Name, den ihr der vollkommene Weise geben kann; er nennt sie auch Geist, weil kein Raum sie einschließt oder ausschließt; Wahrheit, weil kein Falsch in ihr ist, dass Absolute im Gegensatz gegen das Entstandene und Relative. Dieses Absolute ist wesentlich Eines, erhält den Himmel und die Erde, und hat keine Eigenschaft, die in die Sinne fällt. Seinem Wesen nach


  1. Memoire sur la vie et la doctrine de Laotsé, im 8ten Bande der mem. de l’acad. des inscriptions et belles lettres. Paris 1824.
  2. Nach den Legenden welche Remusat am angeführten Ort übersetzt hat.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_234.jpg&oldid=- (Version vom 20.1.2023)