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Das Ausland. 1,2.1828

um nach kurzer Irrfahrt unversehens wieder dahin zurückzukehren, werfen dann Anker in dem Hafen von Cagliari, nehmen die Richtung nach Livorno, steuern auf Sicilien zu, erblicken von ferne die Kette der Pyrenäen, bis sie endlich merken, daß sie sich doch auf falschem Wege befinden müssen. Dieß war freilich ein wenig spät. Sie halten Rath, und der gesunde Verstand Ismaïl’s nöthigt den griechischen Piloten die Richtung zu ändern und gegen Süden zu segeln. Dieß rettet sie aus ihrer Noth. Sie verlieren das Land nicht mehr aus dem Gesichte, folgen den Küsten, besuchen Oran, Melilla, Almeria, Marbella, erkundigen sich bei Christen, Türken und Juden, bis sie endlich mit Hülfe der guten Rathschläge, der Geduld, der Beharrlichkeit, des Glücks und eines günstigen Windes, in drei Monaten und etlichen Tagen ihre gefährliche Ueberfahrt von Malta nach Gebel-Tarik[1] vollenden.

Dieß war eine wahre Odyssee gewesen. Oft glaubte der Muselmann Allah habe ihn verlassen, und die dunkeln Schwingen Azaels[2] breiteten sich über sein Fahrzeug. Es war ihm schon als hörte er über seinem Haupte, wie in dumpfem, feierlichen Tone die Flügel des Engels Gihanam, des Todesboten, über ihm rauschten. Auf einmal aber öffnet sich die Bucht von Gibraltar, und hoch erheben sich vor ihren Blicken die Wälle und Bastionen der furchtbaren Citadelle.

Dieselbe Gastlichkeit wie in Malta fand Ismaïl auch in Gibraltar. Man zeigte ihm alle Merkwürdigkeiten der Stadt, die Zinnen, die Pflanzungen, die schroffen Felsenberge. Mit Schrecken sah er die Höhle des heiligen Michael, mit Staunen die Zunge des Teufels[3]. „Wie?“ – rief er aus – „verehren die Christen die Geister des Himmels zugleich mit denen des Abgrundes?“ Lange ging er in der Almeida[4] spazieren, entzückt von den herrlichen Bäumen und der unermeßlichen Aussicht. „Was für eine wunderliche Puppe ist dieß?“ fragte er, indem er vor einer Statue still stand. Man belehrte ihn, daß er ein Denkmal brittischer Sculptur vor sich sehe, das Bild des englischen Commandanten Heathfield. Er kehrte die Augen weg; Ismaïl war ein Mann von Geschmack.

Aber wer schildert sein Erstaunen, als er in den Straßen der Stadt jene ungeheuern gepuderten Perücken erblickte, mit denen die jüdischen Weiber dort seit undenklicher Zeit ihren Kopf belasten. Er hielt es für eine Maskerade. Nie konnte man ihn überzeugen, daß dieses Costume im Ernste gemeint und national sey.

Endlich, nachdem er seinen Wechsel auf den Pascha gezogen hatte, ging er um vier Uhr Abends zu dem Gouverneur, um sich zu beurlauben. Die Stunde war ungeschickt; er wollte den edlen Baronet nicht aus dem Schlummer wecken. Er ließ ihm zwei Canonen und zwei Kugeln als Geschenk zurück; dann ging das Schiff unter Segel mit einer frischen Ladung von Früchten und Doublonen.

Eine weiße Wolke, eine Kuppel von drohenden Dünsten umkränzte das Haupt des Felsens, und verkündigte nahen Ostwind. Die furchtbare Meerenge, Bab-el-Zalak, die Pforte des Meeres, öffnete sich vor unsern Abenteurern. Panajotti, um sein Verdienst desto mehr in’s Licht zu setzen, vergrößerte noch die Gefahren der Ueberfahrt. „Der Ozean, in den wir uns stürzen, ist beinahe ohne Grenzen. Mehr als zehntausend Meilen weit erstreckt er sich gegen Abend, gegen Norden und gegen Mittag. Die Stürme sind sehr häufig und hier muß sich die ganze Geschicklichkeit eines Seemanns bewähren.“ Ismaïl hatte, wie wir sehen, keine besondere Meinung von der Wahrhaftigkeit des Griechen. „Hat er nicht behauptet, die Insel Candia sey schon vor der Hegire bewohnt gewesen? Der Lügner! Der Unverschämte! Aber bei alle dem ist er ein guter Pilot, und das ist die Hauptsache. Unsere letzte Reise von Malta nach Gibraltar ging glücklich von Statten; ich bin mit ihm zufrieden, ungeachtet es ein ungläubiger Hund ist.“

Indessen mußte der geschickte Navarche sich mit Ismaïl berathschlagen über die Richtung die genommen werden sollte. Nach langer Consultation rief endlich der Ottomane: „Billah! Bismillah![5] laßt das Schiff seinen Weg gehen!“ Die Vorsehung, die einzige Führerin des Fahrzeuges, trieb es an die Küsten von Madeira. Hier erfuhren sie, daß der Wind, der ihnen frisch in die Segel blies, sie von der wahren Richtung ein wenig abgebracht hatte. Ismaïl wollte unwillig werden; Panajotti beruhigte ihn aber, indem er ihn an ihre erstaunliche Ueberfahrt von Malta nach Gibraltar erinnerte, und ihm vorstellte, daß auch der Weiseste sich irren könne. Ismaïil konnte der Wahrheit dieser Bemerkung nichts entgegenstellen. Man machte Rasttag in Madeira. Der Wein war so trefflich, die Gesellschaft so gebildet, das Klima so schön: der Muselmann fand die englischen Kaufleute so gefällig, die Ananas so herrlich, die Insulanerinnen so zuvorkommend, daß er vierzehn Tage lang da bliebt und nur ungerne dem schönen Eilande Lebewohl sagte.

Ungeduldig, seine Reise einmal zu beendigen, machte Ismaïl tausend Fragen an seinen Führer. „Wann werden wir in England seyn?“ – „In drei Tagen.“ – „Seyd Ihr schon da gewesen?“ – „O, schon mehr als zehnmal!“ „Allah ist groß; wir wollen sehen. Aber schaut dort die Küsten, die uns immer näher rücken; sollten das die Ufer der grünen Insel seyn?“ – „beim Panagia und St. Georg! beim heiligen Dionys und St. Spyridion, das ist es! das ist es! Ich erkenne London, ich sehe den Thurm der großen Kirche; ich kann mich nicht täuschen; kenn’ ich doch dieses Land wie meinen eigenen Mantel hier! Glaubt mir! Vertraut mir!“ Der verständige Ismaïl aber schüttelte den Kopf. Sein diplomatischer Blick sagte ihm, daß England doch nothwendig größer seyn müsse. Er nahm die Charte zur Hand. Das Meer schien übersäet mit kleinen Inseln; sollte dieß Irland seyn, die Insel Wight, oder Man? Diese Gruppe von Inselchen, sind das die Orcaden, die Hebriden oder die shetländischen Iseln? Nein! je weiter sie vorrücken desto größer wird ihre Zahl. Ismail, immer ungeduldiger, verwünschte bald die schlechte Charte, bald seinen ungeschickten Piloten; endlich aber

  1. Gibraltar, wörtlich: Berg von Tarik.
  2. Der Todesengel.
  3. Pik von Gibraltar.
  4. Die besuchteste Promenade in Gibraltar.
  5. In Gottesnamen, wie der Herr will.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_266.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)