Seite:Das Ausland (1828) 280.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

dieser Zeit manche einseitige Uebertreibung nicht zu vermeiden war, und manche Schriftsteller, wie der Abbate Antonio Cesari von Verona, auf dem Punkte standen, alle, auch die edelsten Früchte klassischer Bildung zu verwerfen, und ihre Literatur durchaus zu einer Fortsetzung des 14ten Jahrhunderts umzugestalten, so wußten doch Andere, Pietro Giordani an ihrer Spitze, sich das Treffliche der vorigen Jahrhunderte anzueignen, und auf diese Weise, nachdem ihre Ansicht den ihr gebührenden Sieg davon getragen, der italienischen Sprache eine neue Periode des Glanzes zu bereiten. Man ist jetzt wohl allgemein darin übereinstimmend, daß Kraft und Bedeutung des Ausdrucks bei den Schriftstellern des 14ten, Fülle und Feinheit der Formen und Wendungen des Stils bei denen des 16ten Jahrhunderts gelernt, beide aber oft verlassen werden müssen, um die Regeln der Sprache und des Stils mit philosophischer Tiefe im Sinne Beccaria’s und Cesarotti’s zu ergründen.

Auch die neue Periode der Poesie kündete sich mit einem rühmlichen Kampfe für die Ehre der Dichter des 14ten Jahrhunderts, namentlich Dante’s, an. Die lärmende Schule des Hugoni hatte die italienischen Dichter jener erhabenen Einfachheit, die Dante’s Poesie bezeichnet, durchaus entfremdet, und Bettinelli hatte in einigen lettere Virgiliane (so genannt, weil er sie als Briefe aus dem Elysium Virgils bezeichnet) jenen unsterblichen Dichter mit frevelnder Kühnheit angegriffen, und seine größten Schönheiten lächerlich zu machen gesucht. Gegen ihn schrieb Gasparo Gozzi seine difesa di Dante, eine Schrift zu deren Würdigung seine Zeit nicht reif war, und die erst jetzt die verdiente Anerkennung findet. Wirksamer aber als alle theoretischen Vertheidigungen waren die Leistungen eines Alfieri, Parini und Vincenzo Monti, die in ihren Werken zeigten, wie viel sich aus dem Studium Dante’s, mit angeborner Dichterkraft, und mit der Fülle der Bildung der späteren Jahrhunderte vereinigt, für eigne poetische Schöpfungen gewinnen ließ. Am höchsten unter ihnen steht Monti, an stolzem Adel des Geistes sowohl, als an innerem poetischen Leben seiner Dichtungen.

Die Revolution der Literatur, da sie in genauem Zusammenhange stand mit den erwachten tiefern Ansichten über die Philosophie der Sprache und des Stils, mußte natürlich auch auf die Theorie der Sprache mächtig einwirken. Das Dizionario della Crusca, einst als Inbegriff alles dessen, was Anspruch auf einen Platz in der gebildeten italienischen Sprache machen konnte, verehrt, mußte in der doppelten Beziehung ungenügend erscheinen, weil es sich durchaus auf das rein Toscanische beschränkte, und weil philosophischer Geist bei seiner Abfassung durchaus fehlte. Monti und Perticari haben auch hier das Verdienst, das Bedürfniß des Fortschreitens zuerst recht fühlbar gemacht zu haben, und wenn sich gleich neben vielen unbedeutenden Stimmen manche gewichtige gegen sie erhoben haben, so zeigt doch der Beifall, dessen mehrere außerhalb Toscana in ihrem Geiste abgefaßte Wörterbücher sich zu erfreuen haben, daß man im ganzen ihre Ansichten zu theilen sich genöthigt sieht.

Auch das Studium der Grammatik konnte einer neuen Richtung nicht entgehen: doch ist von dieser Seite den Forderungen, die der jetzige Standpunkt der Sprache zu machen berechtigt, noch nicht Genüge geschehen.

Gründliche geschichtliche Forschungen über den Umfang der Sprache, wie Poliziano und mehrere seiner Zeitgenossen sie über die lateinische Sprache angestellt hatten, wurden jetzt auch über die Muttersprache nöthig. Auch hier gieng Monti mit dem rühmlichsten Eifer voran, und Italien ist ihm in dieser Beziehung um so mehr Dank schuldig, als Kritik des Textes und Verbesserung verfälschter Lesarten in der That Arbeiten sind, die sich sonst selten mit den Neigungen und Anlagen eines großen Dichters vereinigen. Er zuerst war es, der nachwies, daß viele von den Irrthümern des Dizionario della Crusca auf einem unkritischen Vertrauen auf die Lesarten der alten Ausgaben und Manuscripte beruhten, in welche sich durch die Nachlässigkeit der Herausgeber und Abschreiber unzählige Fehler aller Art eingeschlichen hatten; ja daß sogar manche sonderbare Redensarten, die die Akademiker und andere Gelehrte als besondere Feinheiten der Rede betrachteten, blos auf diese Weise entstanden waren. In Folge dieser Bemühungen wurden in der neuesten Zeit die Werke der meisten älteren italienischen Klassiker mit verbesserten Lesarten herausgegeben, unter denen auf Angelo Poliziano, Ariost, Tasso, vor allen aber auf Dante die meiste Mühe verwandt wurde. Wir wissen recht gut, daß diese Studien leicht zur Pedanterie führen, und oft schon mußten wir von Ausländern den Vorwurf hören, daß wir Italiener zu viel Werth auf grammatische Untersuchungen legen, ja wir müssen selbst, mit vielen unsrer Landsleute, beklagen, daß Monti, statt die Literatur seines Vaterlandes mit einem unsterblichen Gedicht zu bereichern, seine letzten Kräfte an Arbeiten verschwendete, denen auch Andere von geringeren Fähigkeiten gewachsen gewesen wären. Dennoch glauben wir, daß Italien in der Periode der Wiedergeburt seiner Sprache gerade eines solchen Mannes bedurfte. Im vorigen Jahrhundert gab es viele, die sich nicht nur selbst in der höchsten Vernachlässigung des Stiles gefielen, sondern auch bei Andern die Aufmerksamkeit auf die Form für ein Zeichen von Beschränktheit hielten. Auch in unsern Tagen haben Manche eine solche Sprache geführt, um damit ihre Unwissenheit in der Muttersprache zu bedecken und zu beschönigen. Darum war es von unschätzbarem Nutzen, daß ein Mann wie Monti, dem fürwahr Niemand Pedanterie und Beschränktheit vorwerfen konnte, die Wichtigkeit und Nothwendigkeit eines tiefern Studiums der Muttersprache durch sein Beispiel belegte. Wir hoffen übrigens im Verlauf dieser Darstellung zu zeigen, daß der Vorwurf den uns die Ausländer machen, über der Schale den Kern zu vergessen, ungerecht ist, und daß unsere Literatur nie ernster und gehaltvoller war, als gerade jetzt.[1]

  1. Der zweite Brief wird in den nächsten Blättern folgen.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_280.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)