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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 76. 16. März 1828.

Die türkischen Frauen.

(Esquisses de Moeurs Turques au 19me Siècle, etc. Par Grégoire Palaiologue. Paris 1828.)

Wenige Reisende sind im Stande eine treue Schilderung der muselmännischen Sitten zu entwerfen. Die Europäer in Konstantinopel sehen die Eigenthümlichkeiten der Türken meist nur durch die Brille ihrer eigenen Vorurtheile, ohne zu bedenken, daß die Lächerlichkeiten, welche selbst die gebildetsten Länder Europas sowohl in Meinung als im Leben darbieten, einem unbestochenen Blicke oft wahrlich nicht weniger auffallend erscheinen müssen, als die der Ottomanen. Ueberhaupt sind Nationalsitten nie an sich lächerlich; meist lassen sie sich alle auf eine vernünftige Quelle zurückführen, obgleich sie freilich oft noch lange halbentseelt sich durch das Leben der Völker hinziehen, nachdem die innere Nothwendigkeit, die sie ins Leben rief, längst vorüber ist. So haben auch manche türkische Sitten, im Heerlager entstanden, die kriegerischen Wanderungen des Volkes überlebt und sich trotz der Aenderungen der Zeit aufrecht erhalten, gleich dem rastlosen Geist eines Reisenden, dem selbst dann, wenn ihn Alter und Heimath festhält, die Seele noch mit den Bildern der Ferne und der schönen Vergangenheit erfüllt ist.

Die Schriftsteller, welche in dem gegenwärtigen Kampfe der Griechen mit der Pforte die Feder ergriffen, haben die unrichtigen Ansichten, welche in Rücksicht der Türken schon vorher fast allgemein in Europa herrschten, noch vermehrt, indem sie glaubten, um die Griechen desto mehr zu rechtfertigen, sey es nöthig, die Türken so schwarz als möglich zu machen – eine Ansicht, die so unrecht als widersinnig ist. Waren die Griechen, wie wir überzeugt sind, berechtigt, das ottomanische Joch zu brechen, so wird dieses Recht dadurch nicht heiliger, daß wir ihre Unterdrücker als Ungeheuer darstellen. Ihr Aufstand wäre, nach unserer Ueberzeugung, eben so gerechtfertigt, selbst wenn die Türken Halbgötter wären, denn kein Verdienst, wäre es auch noch so groß, rechtfertigt die Unterdrückung eines Volks. Gelänge es den Griechen und den Griechenfreunden ihre Anklagen des türkischen Characters und Lebens wirklich zu beweisen, so würde daraus nur folgen, daß die Griechen, die sich so lange unter das Joch von solch verächtlichen Tyrannen beugen konnten, in gleichem Grade selbst verächtlich seyn müßten. Da also die Sache der Freiheit durch die Wahrheit nur gewinnen kann, so wird der, dem jene wie diese am Herzen liegt, nicht in den Philippiken des Hrn. Paläologus und ähnlicher Libellisten sich Raths erholen, sondern mit dem Auge leidenschaftsloserer Berichterstatter auf ein Volk blicken, das in Europa vielleicht bald nur noch der Geschichte angehört, die vor allem jene innere Wahrheit fordert.

Als eine allgemeine Bemerkung gilt es, daß das Loos der Frauen im Orient bei weitem besser ist, als man gewöhnlich annimmt; daß die Polygamie in keinem der dortigen Länder allgemein, und daß da, wo sie im Gebrauch ist, ihre Wirkungen keineswegs so schrecklich sind, als die Europäer sich einbilden.

Nicht die Eifersucht des Ehemanns ist es, welche die Weiber in ihre Zimmer einschließt, sondern die Gesetze und Sitten des Landes, die schon längst vor Mahommed bestanden, und die überhaupt in Asien vorherrschen, so gut als in dem alten Griechenland. Auf dieser Eigenthümlichkeit der Sitte beruht die eigenthümliche Bauart ihrer Häuser, welche stets in zwei Abtheilungen getrennt sind, wovon die eine, dem Andron der alten Griechen entsprechend, Salamlik heißt und zum Aufenthalt des Herrn des Hauses bestimmt ist; die andere aber Harem (die zurückgezogenen oder heiligen Gemächer) genannt wird, worin die Frauen, – Weiber, Töchter, Mütter, Schwestern, Tanten, weibliche Sclaven etc. abgesondert leben. Den Weg von dem Salamlik zu dem Harem betritt gewöhnlich, außer dem Herrn der Familie, kein Mann. Selten kommt eine fremde Frau, nie ein Eunuche in dieses innere Heiligthum, in welchem alle Dienste von weiblichen Sclaven versehen werden. Nur zweimal im Jahre, während der Feste des Bayram, oder aus Veranlassung einer Heirath, einer Entbindung, einer Beschneidung erhalten die nächsten Verwandten der Familie Erlaubniß den Frauen in Gegenwart ihrer weiblichen Sclaven einen kurzen Besuch zu machen. Dieß sind die einzigen Männer, vor denen die Frauen unverschleiert erscheinen dürfen. Man nennt sie in dieser Beziehung Mahhrem; alle Fremde, denen der Zutritt ins Harem verboten ist, heißen Na-Mahhrem oder Unzugelassene.

Nur in Gegenwart ihres Mannes oder eines andern Weibes darf eine Frau unverschleiert von einem Arzte

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 301. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_315.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)