Seite:Das Ausland (1828) 332.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

gehört seyn. Von allen Seiten wurden wir mit Fragen bestürmt. Keiner wartete die Antwort ab, oder es beantwortete ein halbes Dutzend der Familie die Fragen in verworrenem Durcheinanderreden sich selbst, wobei jeder eine andere Meinung ausdrückte. Wenn sie zuletzt bei dieser Verwirrung keine befriedigende Auskunft über den Gegenstand ihrer Neugierde sich verschaffen konnten, so wollten sie die Frage förmlich von uns beantwortet wissen, wobei sich denn fast jedesmal ergab, daß der wirkliche Gebrauch der Dinge, die sie erklärt wissen wollten, so verschieden von demjenigen war, den sie ihm beigelegt hatten, daß die schweigende Aufmerksamkeit, mit der sie die Erklärung angehört hatten, in die lautesten Ausrufungen der Verwunderung sich verwandelte, so daß sie sich vor Lachen oft auf dem Boden wälzten.“

Die Reisenden beschreiben die Unsicherheit des Bodens auf dem Zuge durch die Sumpfländer der großen Syrtis. An manchen Stellen befinden sich Oeffnungen von zehn bis zwölf Fuß Tiefe, aus deren Grund Wasser quillt. Meist sind diese Oeffnungen mit einer dünnen, nur zwei Zoll dicken Kruste von Salz und Lehm bedeckt, so daß die größte Vorsicht beobachtet werden, und die Reuter oft absteigen mußten, um die Pferde unter deren Fußtritt in der Nähe jener Oeffnungen oft der Boden plötzlich nachzugeben und zu weichen begann über die gefährlichen Stellen wegzuleiten.

Eines Tages waren die Reisenden Zeugen der medizinischen Kunst eines Heiligen (Marabut) der zu einem kranken Mädchen gerufen worden war. „Kaum hatte der Heilige den Zustand der Kranken erfahren, so nahm er eine höchst geheimnißvolle Miene an, und erklärte, daß sie von einem unterirdischen Geiste besessen sey. Dann bewies er, daß ihr Uebel daher rühre, daß sie bei irgend einem – wir verstanden nicht recht welchem – Geschäfte unterlassen habe, Bismillah (im Namen Gottes) zu sagen, ein Wort des Segens, das ein Mahomedaner bei keinem Geschäfte vergißt. Diese Unterlassung sey schuld gewesen, daß einige Tropfen Wasser auf das Haupt des dem Geiste gehörigen Kindes gefallen seyen, das gerade in jenem Augenblicke unter ihm herumgewandelt sey. Der mit Recht erzürnte Geist sey ihr nun in den Leib gefahren, um sie für ihr Vergehen zu quälen. Alle im Zelte befindlichen Araber hörten mit großer Andacht zu, und das arme Mädchen begann bitterlich zu weinen und ihr Unglück, das sie sich durch eigene Schuld zugezogen, zu beklagen. Nun sprach ihr der Marabut Trost zu, indem er versicherte, daß ihr Uebel zwar sehr bedeutend, aber doch keineswegs unheilbar sey. Dann nahm er einen strengen Blick an, und befahl dem Geiste mit herrischem Tone, von dem Mädchen zu weichen. Da aber die Schmerzen ohne Unterbrechung fortdauerten, so war es augenscheinlich, daß der böse Feind keine Lust hatte, zu gehorchen. Der heilige Mann versicherte, es sey ein höchst hartnäckiger Geist, und er habe lange vorher, ehe man zu ihm um Hülfe geschickt, gewußt, daß er in das Mädchen gefahren sey, doch wolle er mit ihm kämpfen, und bis an den nächsten Morgen nicht von der Seite der Kranken gehen; übrigens sey es ein schweres Stück Arbeit, denn er sehe deutlich, daß das Mädchen verflucht sey, was er an der Breite ihrer Schultern und der ungewöhnlichen Schwärze ihrer großen, rollenden Augen erkenne; diese seyen größer und breiter, als die von seinen eigenen Weibern, und geben ihm den Beweis, wie höchst sündhaft das Mädchen sey. Trotz dem war das arme Kind den andern Morgen besser. Schnell verbreitete sich der Ruf von der großen That des Marabut. Ob aber jene Besserung der Beschwörung des heiligen Mannes oder der von Herrn Campbell der Kranken gereichten Arznei zuzuschreiben sey, überlassen wir unseren Lesern.“ –

„Die Grabmäler von solchen Marabuts, die einige Berühmtheit erlangt haben, bieten ein eigenes Schauspiel dar, durch die bunte Menge von Opfern und Votiv-Gaben, die man inner- und außerhalb der heiligen Gebäude erblickt, Bündel von Holz und langem Gras, Pflüge, Matten, Krüge, alte Kleiderfetzen, neben rostigen Pistolen, Steigbügeln, Sätteln und Zäumen, Rosenkränzen und hundert andern ähnlichen Kostbarkeiten. Die nützlichsten Opfer bestehen aus Obst und Früchten. Werden diese auf das Grab gelegt, so ist es wirklich wunderbar, wie der Appetit des Heiligen, der oft schon fünfzig Jahre im Grabe liegt, wieder erwacht. Schon ein lebender Marabut kann eine artige Portion solcher frommen Gaben vertragen, die Menge aber, die ein Todter verschlingt, übersteigt allen Glauben.“

(Schluß folgt.)

Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

[1]


Sie fragen mich, was ein Gebiet sey. Ich will es versuchen, diese Frage in ihrem ganzen Umfange zu beantworten, damit Sie die ans Wunderbare grenzende Erscheinung sich erklären können, wie es möglich ist, daß in den Vereinigten Staaten ungeheure Länderstrecken in Zeit von zehn bis zwölf Jahren aus dem Zustand der Unwissenheit und Barbarei sich auf den Gipfel der Civilisation und des Wohlstandes erheben. Bereits haben zwölf Staaten dieses Wunder zur Wirklichkeit gemacht, und in diesem Augenblicke lassen drei neu entstehende Staaten uns die ganze Stufenleiter dieser Umbildung in der Nähe betrachten, so daß wir als lebendige rasch sich entwickelnde Gegenwart studiren können, was die Geschichte sonst nur als das langsam reifende Werk von Jahrhunderten darstellt. Es gleichen diese Länder den Zaubergärten der Armide: in ewigem Frühlinge treten, gleich einer, tausendfältige Frucht bringenden Saat, Völker und Staaten ans Licht – E mentre spunta l’un, l’altro matura.

Sie werden auf der Charte bemerken, wie klein im Verhältniß der Raum ist, den jene neu entstehenden Staaten einnehmen. Versuchen wir es nun den in allen Staaten Nordamerikas gleichen innern Entwicklungsgang zu

  1. Fortsetzung der in Num. 46 bis 48 mitgetheilten Briefe.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_332.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)