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Das Ausland. 1,2.1828

entlehnt haben, so gestatten sie dieselbe doch keinem Rajah. Die Armenier wählen daher statt der Cypresse den Lerchenbaum,[1]dessen Harz oder Terpenthin einen starken Geruch verbreitet, und die Luft von den Ausdünstungen reinigt, die aus den Gräbern aufsteigen. Diese Lerchenbäume werden sehr groß, und geben, durch die mahlerischen Gruppen, die sie bilden, den Kirchhöfen ein äußerst freundliches Ansehen. In ihrem Schatten sieht man beständig armenische Familien, Greise, Männer, Frauen und Kinder, rings die Gräber umsitzend und in Visionen versunken, mit den Verstorbenen Zwiesprache halten. Sie glauben, daß die Dahingeschiedenen einen Ort bewohnen, den sie Gayant nennen, in welchem keine andere Freude noch Schmerz ihrer wartet, als daß sie das Bewußtseyn ihres vergangenen Lebens behalten. Aus diesem Orte können sie befreit werden durch die Almosen und Gebete der Lebenden, weßwegen die Frommen weder mit dem einen noch mit den andern geizen. Sie versammeln sich zu diesem Ende alle Sonntage und häufig auch an Werktagen; vor allen aber ist der Ostermontag zu einer feierlichen Versammlung geweiht. Der Priester eröffnet den Zug, der sich nach dem Gottesacker bewegt. Dort angekommen, liest er die Gebete für die Verstorbenen; worauf sich die Familien in Gruppen zerstreuen. Andere isoliren sich, setzen sich einsam auf die Gräber ihrer Geliebten, rufen sie bei Namen und versinken nach und nach in einen Zustand träumerischer Begeisterung, daß sie die Verblichenen zu sehen und mit ihnen zu sprechen glauben. Ist diese fromme Pflicht erfüllt, so wird dann auch dem Leben sein Recht gegeben, indem der Rest des Abends unter Schmausereien und geselligen Vergnügungen zugebracht wird.

Die Insel Marmora, welche fast im Angesicht des armenischen Gottesackers liegt, hat Ueberfluß an Marmor. Der letzte wird daher auch in der Regel zur Errichtung der Grabmale gebraucht, von denen manche sehr reich und schön gearbeitet sind. An diesen Grabmälern sind viele kleine Höhlungen angebracht, in welchen sich der Regen sammelt, und die so den Vögeln, von denen die Bäume wimmeln, und die in der glühenden Hitze des Sommers verschmachten würden, zur Stillung ihres Durstes dienen – ein Beweis von dem zarten Sinn der Armenier. Eine andere Eigenheit, welche diese Gräber darbieten, fällt dem Fremden nicht weniger in’s Auge. Nicht nur wird auf den Grabmälern der Stand des Verstorbenen nebst den Werkzeugen, deren er sich im Leben bediente, aufs sorgfältigste eingegraben, sondern es wird darauf auch genau die Ursache seines Todes bezeichnet. Daher findet man darauf häufig Darstellungen von Gehängten, Erdrosselten, Enthaupteten; die letztern tragen den Kopf unterm Arm.

Um diese sonderbare Sitte sich zu erklären, muß man wissen, daß die Armenier behaupten, es habe nie einer ihrer Glaubensgenossen die Todesstrafe wegen eines Verbrechens erlitten, sondern immer sey ihr Hauptvergehen ihr Vermögen gewesen, nach welchem die Türken lüstern geworden seyen, und stets einen Vorwand zu ihrem Verderben und zur Confiscation ihrer Güter gefunden hätten. Deßwegen wird ein Armenier, der unter Henkershand stirbt, stets als ein entweder durch Verdienste oder Reichthum ausgezeichneter Mann betrachtet. Jene Inschriften und Abbildungen sind also immer eine Satire auf die Gerechtigkeitspflege der Türken. „Eines Tags,“ erzählt Dr. Walsh, „übersetzte mir ein achtungswerther Priester, nicht ohne einige Furcht, einige dieser Epitaphien. Als Probe mag eine derselben hier stehen:

„Ihr schaut die Stelle meiner Ruhe unter dem grünen Teppich;
Mein Vermögen gab ich den Räubern,
Meine Seele den Gefilden des Todes.
Ich übergebe die Welt in Gottes Hand;
Mein Blut ist geflossen im heilgen Geiste.
Ihr, die ihr blicket auf dieses Grab,
Sprecht für mich:
Herr! ich habe gesündigt.“

Indessen sind die Armenier von den Türken mehr geachtet, als irgend ein anderes ihrer Herrschaft unterworfenes Volk. Der Muselmann betrachtet die Griechen als Sklaven (Yeshir), die Juden als Fremdlinge (Mosaphir), weil sie aus Spanien kamen, die Armenier hingegen als Unterthanen (Rayahs) des Reichs, da ihr Land eine türkische Provinz war und sie selbst einen Theil der Nation ausmachten. Mit einer Mischung von Achtung und Habsucht blickt der arme und träge Türke auf den reichen und thätigen Armenier. Auch nehmen die Armenier fast alle Stellen ein, welche die Türken zu versehen unfähig sind. Sie leiten alle Münzoperationen; sie sind die Bankiers, welche der Regierung sowohl als den Privatleuten die Fonds herbeischaffen, deren sie unaufhörlich bedürfen. Bloß Armenier sind es, welche an der Spitze der wenigen Fabriken und Manufakturen stehen, die im ottomanischen Reiche existiren, und welche den ganzen innern Handel Asiens in Händen haben. Indessen ist der Schutz, dessen sie genießen, häufig auch die Quelle ihres Verderbens; und der Armenier, der durch Arbeit und Industrie zu Wohlstand und Reichthum gelangt, weiß recht gut, daß seine Sicherheit dadurch bedingt ist, daß er die Türken in Unkenntniß über den wahren Zustand seines Vermögens läßt.

Nie haben die Armenier mit ihren christlichen Glaubensgenossen, den Griechen, sympathisirt. Keiner von ihnen hat sich bei den gegenwärtigen Verhältnissen zu ihren Gunsten erklärt, oder sie durch seinen Credit oder sein Vermögen unterstützt. In näherer Berührung leben sie mit den Quäckern. Ihre Sitten haben einige Aehnlichkeit mit denen jener Sectirer; gleich ihnen sind sie ruhig, besonnen, mäßig und verabscheuen den Krieg. Die Abweichung hingegen, welche zwischen den Armeniern und den Griechen rücksichtlich einiger ihrer religiösen Dogmen statt findet, erhält eine gegenseitige Erbitterung unter ihnen. Die Griechen werfen den Armeniern Feigheit vor, maßen sich allein des Namens Christen an und schließen diese gleichsam von der Christengemeinde aus.

  1. Pistachia terebinthus, welchen man für den Ailan der Israeliten hält.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_402.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)