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Das Ausland. 1,2.1828


seiner Einkünfte ist Geldleihern und Wucherern verpfändet, und sein Volk wird unbarmherzig mit Steuern bedrückt, damit er die übermäßigen Interessen seiner Schuld entrichten kann. Seine Familie hatte das Unglück, die älteste und reinste in ganz Indien zu seyn, und ohne die geringste unedle Beimischung in gerader Linie von der Sonne abzustammen, indem sie allen Versuchen der Kaiser von Delhi, Wechselheirathen ihrer Häuser herbeizuführen, beharrlich widerstand. So wurde sie halb verrückt vor Stolz, heirathete beständig blos unter sich, lebte mit einer Pracht und einem Aufwand, der ihre Mittel und die sonstige Sitte der Hindufürsten weit überschritt, und war in Kenntnissen und Intelligenz auffallend zurück. Der gegenwärtige Ranah, der alle diese Tugenden seiner Vorfahren besitzt, vereinigt damit noch eine besondere Vorliebe für das Opium." —

„Als wir Nachts durch die Stadt zurückkehrten, bettelte mich ein Mann an, welcher vorgab, blind zu seyn. Auf meinen Ruf trat er zu den Fackeln vor, und sah so frisch drein, daß ich ihn fragte, warum er mich mit einer solchen Lüge berichten wollte. Er antwortete mir, er sey nachtblind (rat unda); ich verstand nicht, was der Bettler meinte, und entgegnete, unwillig über die Schwärme von Bettlern, die uns den Tag über verfolgt hatten: „Die Nacht ist die Zeit zum Schlafen nicht zum Sehen.“ Die Leute lachten darüber, als über einen Scherz; mir ging es nachher aber sehr nahe, da ich fand, daß es eine lieblose Zurückweisung war. Die Nachtblindheit oder die Sehnsucht nach voller Tageshelle ist eine nach Dr. Smith unter den niedern Klassen in Indien sehr gewöhnliche und für gewisse Stände, namentlich für die Soldaten, äußerst lästige Krankheit. Die Seapoys schreiben sie schlechter, unzureichender Nahrung zu, daher sie, wie man mir sagte, das vorherrschende Hausübel der Dürftigkeit ist. Sie scheint dasselbe zu seyn, was die Augenkrankheit, womit Leute behaftet sind, die von verdorbenem oder schlechtem Reis leben. Wahrscheinlich entspringt die Krankheit aus einer Schwäche der Verdauungskräfte.”

Bald darauf begegnet der Reisende einigen Betrunkenen und berichtet: –

„Ich hatte früher in Indien äußerst wenige Betrunkene getroffen, nun aber nahte die Zeit des Hult, des hindustanischen Karnevals, wo das Volk von Mittelindien sich allen Arten von Lustbarkeiten und Schwelgereien überläßt: Die Seapoys begannen, (was früher selten vorkam) an die Weiber, die uns unterwegs begegneten, allerlei Lieder und unanständige Scherze zu richten. – Zu dieser Zeit pflegt man sich auch gegenseitig mit rothem Staube zu bewerfen.

Auf seiner weitern Reise kam der Bıschof zu dem Volke der Bhils, die nun in sehr armseliger Lage sind, vor den Raiputs aber die Herren des Landes gewesen waren. Er erzählt uns:

„Sobald wir uns den Dörfern der Bhils näherten, rannte ein Mann aus der nächsten Hütte auf den Gipfel einer Anhöhe und stieß einen Schrei aus, der von der fernsten Hütte in unserem Gesichtskreis, und dann von zwei andern, die wir nicht mehr sehen konnten, beantwortet wurde. Ich erkundigte mich nach dem Grund hievon, und erfuhr, daß sie sich durch diese Signale in Kenntniß setzen, daß Fremde ankommen, wie groß ihre Zahl sey und ob sie Pferde bei sich haben. Hiedurch erfuhren sie zugleich, ob es rathsam sey, anzugreifen, zu fliehen oder ruhig zu bleiben, – wenn einer von ihnen besondere Gründe hatte, die Begegnung der Soldaten oder der Obrigkeiten aus den niedern Landen zu vermeiden, so bekam er durch jenen Ruf die Weisung, sich aus dem Staube zu machen. Nachmittags bestiegen wir einen der nächsten Hügel, auf dem einige Hütten dieses unglücklichen Volkes standen. Sie waren alle verschlossen; und ein alter Mann, der auf uns zukam, sagte uns, sie seyen alle leer. Er und ein junger Mensch, sein Neffe, (wie er vorgab) waren zu Hause geblieben — die andern alle hatten ihr Vieh in die Junglen [1] ausgetrieben. Dr. Smith, der ein sehr feines Ohr hat, und gut hindustanisch versteht, konnte sich diesem Volke leichter, als irgend einer in unserem Gefolge, verständigen, und sagte, daß sich ihre Mundart von der in Malwah hauptsächlich im Accent und dem Ton unterscheide. Sie sprechen in einem gedehnten Recitativ, den Dr. Smith nachahmte, wobei er fand, daß sie ihn so viel besser, als auf andere Weise verstanden. Der alte Mann sagte, sie hätten viel durch das Ausbleiben des Regens gelitten, die Ernte sey sehr karg, es gebe nur wenig Weide für das Vieh – und, was das schlimmste sey, – sie müßten befürchten, daß die nahen Wasserbehältnisse noch vor Ende der heißen Jahrszeit austrocknen würden. Wenn dieser Fall einträte, sagte er mit vieler Resignation, so müßten sie eben nach Durgunpur oder nach einem andern Platze, wo Wasser sey, hinabziehen und sich behelfen, wie sie könnten. Die Leute waren in sichtbarer Angst und zitterten sogar; sie befürchteten, wir möchten uns ihren Hütten nähern, und wollten sich nicht bis zu unsern Zelten wagen, obgleich sie mein Versprechen, ihnen etwas Speise zu geben, recht gut verstanden hatten. Ich drang in den jungen Menschen, einen seiner Pfeile nach einem gewissen Ziele abzuschießen; er hatte aber nur zwei bei sich, und sah uns alle der Reihe nach an, als fürchtete er wir wollten ihm so sein Vertheidigungsmittel entziehen. Durch wiederholtes Zureden gelang es mir, ihn zu überreden: er schoß ab und traf in einen etwa hundert Yards entfernten Baum; wie ich seine Geschicklichkeit pries, schoß er auch seinen zweiten Pfeil ab, der gerade genug, aber nahe bei der Wurzel in den Boden fuhr. Er hielt seinen Bogen nach englischer Art, nicht wie die Hindus, welche den Pfeil auf die (wie wir es heißen würden) unrechte Seite legen, und den Strang mit dem Daumen spannen. Die Pfeile waren nicht übel gearbeitet, der Bogen aber schwach. Der Beifall, den er erhielt, und die Sicherheit, in welcher er sich fühlte, machten ihn zutraulich. Er saß nieder, um uns zu zeigen, wie seine Landsleute, den Bogen zwischen den Füßen haltend, durch das hohe Gras schießen, und zielte nach verschiedenen Gegenständen, bis ich ihm sagte, wir bedürften keiner weitern Beweise seiner Geschicklichkeit.“


(Fortsetzung folgt.)
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_422.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)
  1. Eine lange, zu sieben bis acht Fuß hoch wachsende Grasart, oben in einen schönen, weißen Flaum endend.