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Das Ausland. 1,2.1828

„Haben Sie sich mit der Bevölkerung Irlands beschäftigt?“ – Ja, bis auf einen gewissen Punkt.

„Hat Ihnen die Betrachtung des Zustandes von Irland einige Beiträge für Ihre Werke geliefert?“ – Ja, besonders zu meinen Grundsätzen über National-Oekonomie.

„Wie hoch beläuft sich die Bevölkerung gegenwärtig?“ – Den Documenten nach, die ich zu Rathe ziehen konnte, ungefähr auf achthalb Millionen.

„Haben Sie die Güte, dem Committee zu bezeichnen, auf was Sie diese Annahme gründen?“ – Bei einer Vergleichung der im J. 1792 nach der Zahl der Häuser gemachten Schätzung, mit der im J. 1821 vorgenommenen Zählung, hat die Bevölkerung in diesen 29 Jahren in dem Verhältnisse zugenommen, daß sie, gleichmäßig fortschreitend, in vierzig Jahren sich verdoppelt. Nach dieser Progression beträgt die Bevölkerung Irlands im J. 1827 sieben und eine halbe Million.

„Haben Sie über die wahrscheinliche Wirkung nachgedacht, die eine solche Vermehrung auf die andern Classen von Irland ausüben muß?“ – Da die Menschen nicht leben können ohne Nahrung<!Vorlage:Nachrung-->, so muß diese Progression nothwendig stille stehen, aber erst nach schweren Leiden.

„Wollen Sie damit sagen, durch eine größere Sterblichkeit?“ – Ja, aber diesen zahlreicheren Todesfällen wird ein noch größeres Elend vorangehen.

„Glauben Sie vorauszusehen, welche Folgen daraus für die arbeitende Classe in England sich ergeben werden?“ – Die Vermehrung der Bevölkerung und des Elends in Irland wird unglückbringend für die arbeitenden Classen Großbritanniens seyn, denn die zunehmende Auswanderung aus Irland nach England wird den Arbeitslohn mehr und mehr herunterdrücken, und die hierüber in diesem Lande herrschenden verständigen Ansichten und Gewohnheiten zu nichte machen. Allmälig werden sich unsere Arbeiter darauf beschränkt sehen, sich blos von Kartoffeln nähren zu können.

„Welche Folgen wird dieß in Beziehung auf unsere Armentaxen haben? Wird es die Zahl der zu Unterstützenden vermehren?“ – Ohne allen Zweifel. Ein Arbeiter, der in seinem Kirchspiel oder anderswo Beschäftigung finden könnte, wird arbeits-, folglich brodlos werden, so wie er durch einen Irländer verdrängt wird.

„Glauben Sie, daß, wenn die Zahl der Arbeiter Englands durch ein gutes Colonisationssystem sich verminderte, diese Lücke sogleich durch die überflüssige Bevölkerung Irlands wieder ausgefüllt würde?“ – Ohne allen Zweifel. –

– Die Commission erhielt durch viele übereinstimmende Zeugnisse die Ueberzeugung, daß jedes Colonisationssystem bei Irland beginnen müsse. Der Präsident richtet nun an Malthus die Frage: „Wenn statt einer Colonisation, in Irland das englische System eingeführt würde, nach welchem jedes Kirchspiel verpflichtet ist, seine Armen zu unterhalten, was glauben Sie wohl, daß geschehen würde?“ – Die ganze Grundrente Irlands würde nicht einmal hinreichen, um alle Armen zu unterhalten.

Die Commission geht nun auf die Erörterung der Frage über, ob, falls ein gutes Colonisationssystem Irland von einer halben Million seiner dürftigsten Einwohner befreite, die Lücke nicht schnell durch neue Irländer, so arm und nothdürftig als die über Meer geschickten, wieder ausgefüllt würde. Malthus bejaht diese Frage, und da man diesen großen Publicisten weiter zu Rathe zieht, welche Mittel es geben möchte, um Irland und England von der Geißel, die ihnen droht, zu befreien, so gelangt man am Ende zu der Ueberzeugung, daß man auf kein Mittel mit Sicherheit zählen könne, so lange in den in Irland herrschenden Gesetzen und Gewohnheiten keine Aenderung eintritt.

Bekanntlich sind die großen Gutsbesitzer in Irland größtentheils Engländer, oder Erben von Engländern, die jene Güter in Folge von Confiscationen erhielten. Die Jesuiten fanatisirten die Katholiken Irlands gegen die Protestanten, worauf diese die Güter von jenen in Besitz nahmen. Aus diesem Grunde genießen die großen Landeigenthümer bei einem Aufenthalt auf ihren Gütern weder Vergnügen noch Sicherheit. Sie verleihen sie daher in großen Massen an besondere Agenten, die sie in kleinern Theilen wieder an Unter-Agenten verleihen, von denen sie ebenfalls wieder in noch kleinern Theilen an arme Landleute verpachtet werden, welche Kartoffeln pflanzen, ihre und ihrer Kinder einzige Nahrung. Wenn ihre Kinder heranwachsen, so heirathen sie und pachten für sich selbst einen kleinen Fleck Landes, einen einzigen Acker, oft noch weniger. Sie bauen sich eine Lehmhütte, zeugen Kinder, die ihrerseits wieder ein Stückchen Land erübrigen wollen und sich gleich Caninchen vermehren. –

Obgleich aus dem obenerwähnten Commissions-Berichte hervorgeht, daß die Colonisationen sowohl von England, als von Schottland und Irland aus, bereits mit großem Erfolg begonnen haben; daß ferner die Summen, welche man neuen Auswanderern vorschießen würde, geringer wären, als die, welche man jetzt an dieselben Familien unter dem Namen von Armengeldern bezahlt, und daß endlich jene Summen sammt Interessen nach Verlauf von etwa zehen Jahren zurückerstattet werden würden, so hat doch das Parlament noch nicht gewagt, die Anträge des Berichts anzunehmen, aus Besorgniß, das vorgeschlagene Mittel möchte nur für den Augenblick, nicht für die Dauer wirken, und dieselben Ursachen, welche das Uebel veranlaßten, (die Uncultur der Irländer und die englische Armentaxe) möchten die Verlegenheiten, denen man zu entgehen sucht, auch stets wieder erneuern; und diese Besorgniß ist gewiß nicht blos chimärisch.. Unabhängig aber hievon verdient das umsichtige Verfahren der Commission, die vom ausgezeichnetsten Staatsmann und Gelehrten bis zum letzten Taglöhner alle Interessen zu Rathe zog und jeder Stimme den freien Weg zur gesetzgebenden Gewalt des Staates bahnt, die aufmerksamste Beachtung. Wie viele Quellen der Belehrung bieten sich in solchen Untersuchungen den Gesetzgebern dar, wenn sie unabhängig, und ihre Interessen eins sind mit denen des Volks!


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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 444. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_462.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2023)