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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 112. 21 April 1828.

Die Kalmücken.[1]


Die Steppen des astrachan’schen Gouvernements, nördlich vom caspischen Meere auf beiden Seiten der Wolga, gehören zu den ödesten Gegenden des russischen Reichs. Der Boden, ein gelblicher Lehm ohne Stein, ist mit verschiedenen Salzen geschwängert, die sich theils kristallisirt in der bloßen Erde, theils aufgelöst in größern oder kleinern Tümpeln und Seen finden. Die bekannte Meinung, wornach diese Steppen ursprünglich der Grund eines ungeheuren Binnenmeers gewesen wären, welches bei irgend einer Naturumwälzung einen Abfluß durch den Bosporos sich eröffnet und das schwarze, asow’sche und caspische Meere als seine tiefsten Stellen zurückgelassen hätte, gewinnt einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, wenn man noch das Vorhandenseyn einer Menge unversteinerter Seemuscheln in Betrachtung zieht.

Außer dem Bogdo in der jaikschen Steppe gibt es hier keine Berge; doch ist das Land meistentheils hügelig, sanfte Höhen und Flächen wechseln dergestalt, daß der Durchmesser des Gesichtskreises selten etliche (deutsche) Meilen beträgt.

Der Pflanzenwuchs ist äußerst sparsam, und besteht vornehmlich aus einigen niedrigen Wermuth- und Grasarten, die, büschelweise wachsend, keinen eigentlichen Rasen bilden, sondern den fahlen Boden überall hervorstechen lassen. In den Vertiefungen gibt es zwar hie und da grasreichere Plätze, in der Regel aber eben auch nur Salzkräuter, die den Kameelen zur Nahrung dienen. Manche Steppengegend prangt jedoch im Frühlinge mit herrlichem Blumenschmuck von Iris, Tulpen und andern Zwiebelgewächsen, bis die Sonnenhitze (das Thermometer steht oft wochenlang auf 30° Reaumur, und während der 81 Tage der vorliegenden Reise stand es nur 36 Tage unter, und 45 Tage über 28°), welche durch keinen Baum, durch kein Wölkchen gemildert wird, bei der großen Seltenheit des Regens, alles Pflanzenleben zerstört. So erschlaffend aber der Sommer, so erstarrend ist der Winter, wenn der kalte Luftzug, den kein Gebirg unterbricht, von der hohen beeisten Mongolei herab, einem unaufhaltbaren Strome gleich, nach diesen Niederungen sich ergießt.

Eine den Steppen eigenthümliche Naturmerkwürdigkeit sind die Lufterscheinungen in der warmen Jahreszeit. Die von der durchglühten Erdoberfläche zurückgeworfenen Sonnenstrahlen, indem sie in den wenigen der Erde noch abgepreßten Dünsten sich brechen, erzeugen jenes optische Trugbild, wodurch Gegenstände, die noch außerhalb des Gesichtskreises liegen, am Rand desselben, gleichsam auf Wasserstreifen gemalt, in der Luft schwebend erscheinen. Diese Bilder sinken nach und nach, je mehr man sich ihnen nähert, tiefer herab; endlich verschwindet der scheinbare Wasserstreifen ganz, und nun erst zeigt sich der wirkliche Gegenstand, entfernter aber und kleiner, als im vorigen Dunstgebilde. Hatte der ermattete Reisende etwa gehofft, einen erwünschten Ruhepunkt in Kurzem zu erreichen, so muß er denselben desto mehr sich entfernen sehen, je eifriger er darauf zueilt.

Für die Sammlungen der Naturforscher bieten die Steppen manche schöne und eigenthümliche Gegenstände dar. So hat z. B. die ganze Länder verheerende Zugheuschrecke mit vielen minder zu fürchtenden Arten dieser Gattung hier ihr Vaterland und verdunkelt öfters mit ihren rauschenden Flügeln die Luft. Nützliche Insecten, wie Bienen, gibt es nicht. Scorpionen sind, wie es scheint, auf den Bogdoberg beschränkt; überall aber verbreitet sich die dicke, anderthalb Finger lange Tausendbeine (scolopendra millepes), die Tarantel, die noch giftigere Skorpionspinne (phalangium araneoïdes), und eine noch wenig bekannte äußerst giftige Spinnenart, welche von den Kalmücken die schwarze Wittwe (belbessün charra) genannt wird. Eben so häufig findet man Schlangen und Eidechsen. Von Säugthieren sind hauptsächlich wilde Pferde (zwischen der Wolga und dem Jaik), Antilopen, Füchse, Wölfe, große und kleine Springhasen; von Vögeln Trappen, rothe Enten, Uferschwalben, Kraniche und Adler (gewöhnlich falco leucocephalus zu bemerken.

Die Kalmücken, zu denen die Reise ging, sind in fünf Horden eingetheilt: Die Dörböden, Sarepta’s nächste Nachbarn, Torguden, Erkeden, Vaganzohcher und Choschuden. Die beiden ersten Horden haben ihren eigentlichen Wohnsitz östlich vom Don an der Sarpa, die dritte und vierte zwischen der Sarpa und der Wolga, die fünfte jenseits der Wolga an der Aktuba. Um zu überwintern,


  1. Reise von Sarepta in verschiedene Kalmücken-Horden des astrachan’schen Gouvernements im Jahr 1823, vom 26 Mai bis 21 August neuen Stils, in Angelegenheiten der russischen Bibelgesellschaft unternommen von H. A. Zwick und J. G. Schill, und von ersterem beschrieben. Mit einer Karte. Leipzig 1827.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_463.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)