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Das Ausland. 1,2.1828

mio seno – coprir ti vo’: senzo rossor t’abbraccio.) – Die hohe sittliche Begeisterung, die das ganze Gedicht durchweht, können wir nicht besser bezeichnen, als mit den schönen Worten, die der Verfasser zum Motto für dasselbe wählte, und die wir in der That als den Probierstein betrachten können, an welchem das Gold jeder Tragödie geprüft werden sollte:

Summum crede nefas, vitam praeferre pudori
Et propter vitam vivendi perdere causas!



Die Kalmücken.


(Fortsetzung.)

Auf der Reise durch die Steppe kamen wir an vielen Grabhügeln (Kurganen) vorbei. Wahrscheinlich rühren sie aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Völkerschaften, die meisten ohne Zweifel von den Tataren des ehemaligen Kaptschak’schen Reiches her. Wenigstens findet man sie in der Nähe der Ruinen ihrer Hauptstädte, Serag und Tschigit, äußerst zahlreich. Von höherem Alter scheinen diejenigen zu seyn, auf welchen steinerne Bildsäulen von mongolischer Gestaltung stehn (der Minorite Ruisbroek ums Jahr 1260 gedenkt ihrer bereits) und man ist geneigt, sie jenem Mongolenstamme zuzuschreiben, der im fünften Jahrhundert unter dem gefürchteten Namen der Hunnen in diesen Gegenden hauste. Die ganze Ebene, schon in einer sechs Stunden weiten Entfernung von den Hoflagern der beiden turgudschen Fürsten Aerdäni und Zerren-Uhaschi, welchen unser Erster Besuch galt, war mit einzelnen Zelt-Gruppen und dazwischen weidenden Heerden von Kameelen, Pferden, Rindern, Ziegen und Schafen bedeckt. Nach unaufhörlichen Erkundigungen wegen des Weges, wobei wir doch zuweilen bedeutend irre fuhren, da die Kalmücken die Entfernungen [1] niemals richtig und immer zu klein angeben, erreichten wir am 2 Juni Nachmittags Bathur-Maleh (die Heldenpeitsche), das Ziel unserer Reise. Die beiden Hoflager lagen ungefähr eine halbe Werst von einander entfernt. Zwischen denselben standen eine Menge Zelte und Karren der sich hier aufhaltenden russischen, armenischen und tatarischen Handelsleute, welche den Bazar der vereinigten Horden bildeten. Etwa zwei hundert Schritte hinter dem ärdänischen Hoflager machten wir Halt, und bereiteten uns vor, dem Fürsten unsere Aufwartung zu machen.

Die kalmückischen Zelte, in ihrer Sprache Gerr, von den Russen Kibitken genannt, bestehen aus mehreren leicht zusammen zu fügenden und fortzuschaffenden Theilen. Ihre Form ist rund, mit einem trichterartigen Dache, welches eine stumpfe Spitze hat. Das Gerippe des Zelts – zolldicke, geschnitzte, roth angestrichene Weidenstäbe – bildet unten eine etwas weniger als Mannshöhe aufrecht stehende ringförmige Wand von schrägem, netzförmigen Gitterwerk. Dieser Theil des Gitterwerks besteht aus sechs bis acht Theilen, deren jeder für sich dergestalt zusammengeschoben werden kann, daß ein Stab dicht an den andern zu liegen kommt, wodurch das Ganze zum Fortschaffen bequem wird. Da wo sich die Stäbe kreuzen, sind sie durchbohrt und mit ledernen Riemchen verbunden. Beim Aufstellen der Hütte werden gedachte sechs bis acht Gittertheile mit wollenen Bändern an den Enden befestigt, die für sich bestehende Thüre oder eigentlich zwei kleine Flügelthürchen in einem hölzernen Ramen, werden eingesetzt, und der ganze Gitterkreis wird mit breiten, wollenen Gurten umwunden. Von dieser untern Gitterwand gehen ringsum einzelne Stangen in die Höhe nach einem gemeinschaftlichen Vereinigungspunkt; doch ehe sie diesen erreichen, endigen sie in einem hölzernen Reifen oder Kranz, der sie zusammenhält und über welchem sich ein doppelter Kreuzreifen wölbt und die stumpfe Spitze des Daches vollendet. Diese Stangen werden am untern Ende mit einer Schleife an die hervorstehenden Spitzen des untern Gitterwerks gebunden und mit ihrem obern Ende in die dazu vorhandenen Löcher des Kranzes gesteckt. Auch über dieses Stangenwerk werden einige wollene Gurten kreuzweise geschlungen und an dem untern Gitterwerk befestigt. Die Bekleidung des Gerippes sind grobe, locker gewalkte, ungeleimte Filze. Von diesen bekleiden vier das Gitterwerk und ungefähr die Hälfte des Daches, über welche sodann zwei andere gelegt werden, welche das Dach vom Kranze bis zum Gitterwerk herab bedecken. Ein dritter schmaler Filz hängt vom Dach über die Thüre und kann in die Höhe geschlagen werden. Alle diese Filze werden ebenfalls mit wollenen Gurten fest gemacht und zuletzt wird noch eine Kappe von Filz über das Reifkreuz des Dachs geschlagen, deren lange Zipfel ebenfalls bis auf das Gitterwerk herabreichen. Einer dieser Zipfel wird jedoch bei Tage stets zurückgeschlagen, wobei man die dem Wind entgegengesetzte Seite wählt, so daß durch diese Oeffnung nicht nur das nöthige Licht in die Hütte fällt, sondern auch der Rauch seinen Ausweg findet.

Aus solchen Zelten bestand das Ardänische Hoflager (Oergó). Die Gegend war eine unbeträchtliche Niederung, in deren Mitte sich einige Brunnen befanden. Nördlich von den Brunnen standen die fürstlichen Zelte: Das Wohnzelt des Fürsten, das Zelt, worin er zu Gericht saß, und das, welches seiner Tochter, der Prinzessin Mingmer, gehörte; südlich standen die Churulle, d. h. die Kirchenzelte nebst dem Zelt, worin der Lama wohnte. Diese waren in einem weiten Halbkreis von den Hütten der Gellongs, jene von denen der fürstlichen Diener umgeben. Die fürstlichen und kirchlichen Zelte zeichnen sich nicht nur durch ihren freiern Standort im Innern des Kreises, sondern auch durch ihre beträchtlichere Größe und weißere Filzbedeckung aus. Die fürstliche Residenz ist an einem links vom Eingang aufgestecken langen Spieß mit roth, blau und grün bestreiftem Schafte zu erkennen. Von der Spitze desselben hängt eine Schnur mit zwei stumpfen Bündeln Roßhaar herab, wodurch man an die Roßschweife


  1. Die Kalmücken rechnen nach Buhren, d. h. Stationen eines Zugs = 20 bis 25 Wersten, oder nach Reiterstationen = 150 bis 170 Wersten oder endlich nach der Weite einer Stimme etwa = 1 Werst.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_473.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2023)