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Das Ausland. 1,2.1828

Spangen aber stieß er unwillig mit dem Fuße hinweg, indem er bemerkte, solchen Bettel habe er genug, dieß solle der Eselstreiber wieder mitnehmen, und dem Vater des jungen Menschen sagen, daß, wenn nicht morgen mit Sonnenaufgang 2000 Scudi hier oben bei ihm angelangt wären, er unfehlbar (hier that er einen gräßlichen Schwur) nur den zerstückten Leichnam seines Sohnes erhalten würde. So mußte der Bote wieder abziehen.

Zugleich mit dem Uebrigen war ein Schreiben des Barons angekommen, worin dieser bestätigte, daß er gar keine weitere Bekanntschaft mit S. habe, auch weder für diesen noch für den andern Gefangenen einen Bajocco bezahlen und sogleich nach Rom abreisen werde, um bewaffnete Macht gegen sie zu verlangen. Unterdessen hatte sich die ausgestellte Wache genähert und gemeldet, daß sich an mehreren Stellen am Fuße des Berges Militär-Abtheilungen zeigten. Da fuhren alle Räuber rasch auf, machten sich schußfertig, banden den S. wieder und erklärten einstimmig: so wie sich das Militär nähere, seyen beide des Todes. Man kann sich hierbei den Gemüthszustand der Gefangenen denken. Inzwischen war es Nacht geworden; die Räuber schliefen malerisch um das Feuer gruppirt, als hätten sie das beste Gewissen; doch der Hauptmann wandte sich zuweilen, stöhnte und stieß unarticulirte Klaglaute im Schlaf aus; und ein frecher Junge, der jedoch noch der gutmüthigste schien, war wach, legte von Zeit zu Zeit Holz ans Feuer, und wollte immer mit S. plaudern, der freilich wenig Lust dazu hatte, doch gezwungen die Neugierde des Burschen befriedigte. Endlich[WS 1] schon halb schlaftrunken sagte er: Felice notte, Signor Federigo! non avete timore, per voi non c’è pericolo (Gute Nacht Herr Friedrich, habt keine Furcht, für euch ist keine Gefahr) und schlief sogleich.

Der Hauptmann war ein schöner, regelmäßig und stark gebauter Mann, größer als alle übrigen, mit wohlgeformtem Gesicht, welchem aber das vielleicht von Kindheit auf gewohnte Mordhandwerk und die Schrecken und wilden Leidenschaften, die dasselbe begleiteten, gräßlich verzerrte Züge eingeprägt hatten, so daß sein seltenes Lächeln aussah, als ob er weinte. Seinen Kopf bedeckte ein oben spitzer Hut, wie es die dortige Landestracht mit sich bringt, aber vielfach mit künstlich verschlungenen silbernen Ketten umwunden; schwarzes krauses Haar und Bart; der nervige lange Hals und die breite kräftige Brust waren ganz bloß, nur von einer silbernen Kette umschlungen, woran ein goldenes Kruzifix hing; Weste, Wams und Unterkleider von grünem Sammt, und so wie der breite lederne Gurt, in welchem zwei große Pistolen und ein reichverzierter Dolch mit silbernem Griff steckten, mit Stickereien verziert; an den Füßen eine Art Sandalen; endlich trug er einen großen, in malerischen Falten nachläßig um den Leib geschlagenen Mantel und im Arm eine Büchse, von trefflicher Arbeit ganz mit Silber ausgelegt. Auf ähnliche Weise waren auch die Uebrigen bekleidet und gerüstet.

Der junge Landmann, halb todt vor Schrecken und Ermattung, war längst eingeschlafen; nur S. wachte noch und hatte, einsam seinen Gedanken nachhängend, Zeit, seine ganze grausenvolle Lage zu übersehen. Der Mond war über den Saum des Waldes emporgestiegen und eröffnete ein prachtvolles Schauspiel. Jedes Wölkchen war aus dem reinen Azur des Aethers gewichen, unzählige goldene Sterne blickten herab, fast die ganze Kette der gewaltigen Apenninen, des Volsker und Sabiner Gebirges, weit im Hintergrunde die schneebedeckten Häupter des Velino und der Lionessa lagen vor ihm ausgebreitet; dort ein Streifen des leuchtenden Meeres, unter ihm das freundliche Olevano, weiterhin eine Menge kleinerer und größerer Städtchen und einzelne Landhäuser, und unmittelbar am Fuße des Berges mehrere ruhig waidende Heerden. Wie oft habe ich, dachte S., seit meinem Aufenthalt in Olevano sehnsüchtig auf diesen Gipfel geblickt, und die Aussicht von demselben zu sehen gewünscht, und immer aus Furcht vor den Räubern den Gang unterlassen, mit deren Hülfe ich ihn nun wirklich angetreten habe.

Endlich war auch S. eingeschlummert und im Traume nach der Heimat in die Schweiz und auf die grünen Matten um das elterliche Haus versetzt worden. Der Vater und die Mutter küßten mit freudethränenden Augen den Wiedergekehrten, die kleinern Geschwister jubelten ihm entgegen, Lämmer umspielten ihn und der treue Haushund leckte seine Hände. Da fällt plötzlich ein Schuß, mit Entsetzen sieht er sich wieder in die Wirklichkeit versetzt, der Freiheit beraubt, dem Tode nahe, der Willkür der verruchtesten Gesellen preis gegeben. Die Räuber springen wild auf zu den Waffen. Da kömmt die Wache und meldet, es sey ihr unversehens durch einen streifenden Ast das Gewehr losgegangen; der Hauptmann flucht über die Unvorsichtigkeit. „Ich sage es immer, daß die elenden Büchsen nichts Zuverlässiges sind, der Dolch ist die rechte Wehr für einen Galantuomo!“ Bald wurde es wieder ruhig, die Räuber schliefen wieder. S. aber hatte keinen Schlaf mehr: der Morgen graute, ein leiser erfrischender Wind erhob sich als erster Vorbote des Tages, die Wolken rötheten sich und das ferne Meer, hie und da ließ ein Vogel einzelne Töne wie noch halb im Traum hören, bald mehrere; und endlich kamen einige kleine Singvögel von Zweig zu Zweig gehüpft, und wagten sich, von den herumliegenden Brodkrümchen angelockt, mitten unter die schlafenden Räuber.

(Schluß folgt.)


Die Kalmücken.


(Fortsetzung.)

An dem Hoflager des Fürsten Otschir war unsre Aufnahme nicht besser, als sie an dem seines Bruders Dschirgal gewesen war. Wie uns der Fürst mit großer Rücksichtslosigkeit behandelte, erklärte uns auch der Vice-Lama (der Lama war wegen Altersschwäche quiescirt) sogleich, nicht in der langsamen Weise der feinen ärdänischen Politik, sondern gerade und unumwunden, daß sie keines neuen Nomms bedürften: die ganze Geistlichkeit sey zufrieden mit dem bisherigen und habe noch fortwährend übrig genug an demselben zu lernen; um so weniger könnten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage:Englich
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_493.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)