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Das Ausland. 1,2.1828

sie noch eine neue Lehre einstudiren. Warum, wenn die neue Lehre Gottes Wort sey, wir sie ihnen jetzt erst gebracht hätten? Etwas so großes und wichtiges müsse man nicht so lange für sich behalten. Uebrigens wären sie in ihren Gebeten jeder Zeit des Kaisers eingedenk, wie sie denn überhaupt für das Wohl des ganzen Landes beteten.

Die Kürä [1] war hier beträchtlich stärker als bei Aerdäni und Zerren-Ubaschi. Vor der Thüre des Vice-Lama’s wie auch vor dem Churull waren große Fahnen mit der mysterösen Inschrift Om-ma-ni-pad-mä-chum aufgepflanzt, und vor der Thüre des erstern stand überdieß eine große Kürdu, welche mittelst vier großer löffelförmiger Flügel vom Winde in Bewegung gesetzt wurde. Die Kalmücken feierten gerade ein hohes Fest und die Churulle waren aufs beste herausgeputzt. Im Hauptchurull hingen drei und dreißig aufgerollte große Bilder [2], und auf dem Altar standen zwei hölzerne Gehäuse, in welchen sich zwei gegossene metallene stark vergoldete Figuren von sehr schöner Arbeit befanden. Dieselben waren nach asiatischer Weise sitzend dargestellt, und nach ihren Attributen erkannte man in der einen den Schagdschamuni, in der andern den Maidari. Neben dem Altar saß ein Gellong und las in einem ungeheuren Buche, während sich die übrigen in ihren, zum Theil feinen scharlachrothen Feierkleidern, fröhlich um den Mittelpunkt des Tempels – eine mächtige Butte voll Tschigan – bewegten.

Indessen kamen zwar Neugierige, die sich von uns Bücher erbaten; da sie aber anfingen, durch Auflegung der Bücher auf das Haupt, sich spottweise den Segen zu ertheilen, – wie dieß die Gelongs mit ihren Büchern zu thun pflegen, – so wiesen wir diese Leute ab. Nach manchen vergeblichen Unterhandlungen mit dem Fürsten hatten wir endlich so viel von ihm erhalten, daß er uns an die Grenze der Erkeden einen Wegweiser mitzugeben versprach. Vielleicht aber, daß Otschir zuletzt doch noch Erlaubniß gegeben hatte, Bücher von uns anzunehmen; denn im Augenblick unsrer Abreise stellten sich viele Geistliche ein, die uns um welche baten.

In der Erkedenhorde, die wir nach einer beschwerlichen Reise von vierzig bis fünfzig Wersten gegen Süden, unter immerwährenden Besorgnissen, von Räubern angefallen zu werden, nachdem wir unsern Boten, einen tückischen, unzuverlässigen Menschen zurückgeschickt hatten, nach mehrfachem Verirren, glücklich erreichten, überzeugten wir uns vollend von der Nutzlosigkeit unsrer Bibelverbreitungsversuche, und ließen deswegen den größten Theil unsrer Bücher durch einen Zariziner Kaufmann nach Sarepta zurücktransportiren. Da hier kein Hoflager ist, so bildet die Kürä den Mittelpunkt der Horde, wo sich auch einer der befehlshabenden Saißangs aufzuhalten pflegt. Der hier befindliche Saißang Meme, ein artiger junger Mann, behandelte uns aufs Ehrenvollste, räumte uns ein schönes Zelt ein, ließ sogleich Meldung von unserem Hierseyn und dessen Zweck an das Volk ergehen, ja er ermunterte seine Leute nicht nur, Bibeln von uns zu nehmen, sodern theilte selbst aus. Aber bald brachte man uns die Bücher zurück; der Lama war ganz ängstlich und durchaus nicht zu bewegen, eins von uns anzunehmen.

Von Meme erfuhren wir, daß ihnen im vorigen Jahr eine Ukase zugesandt worden war, des Inhalts: „wie die Kalmücken eine so große und mächtige Nation gewesen, nun aber so gering und unbedeutend geworden seyen; dieß rühre von ihrer Religion her, die sie früher auch nicht gehabt hätten; dieselbe habe keine Kraft und könne sie nicht beglücken; dagegen möchten sie erwägen, was für ein großes und mächtiges Wolk die Russen wären; dieß hätten diese nur der Reinheit ihres Glaubens zu verdanken; darum sollten auch sie die christliche Religion annehmen, um wieder ein großes Volk zu werden.“ Wir setzten hier ein einziges Exemplar, bei einer andern Horde, die wir auch besuchten, gar keins ab.

Nach kurzem Aufenthalt in der jandyk’schen Horde, welche die Fürstin Nadmid, die Wittwe des Fürstin Sandschi-Ubaschi, Vaters des Fürsten Zerren-Ubaschi, eine dörböd’sche Prinzessin regierte, ferner in der Baganzohcher-Horde, wo man zwar Bücher von uns annahm, wo aber die Kalmücken meinten, ihre Religion sey eben so gut als die christliche eine Religion für die ganze Welt, beschleunigten wir unsre Reise nach der Wolga, weil die von den Heuschrecken abgezehrte Gegend unsern Pferden keine Nahrung mehr darbot. In der letzten Horde trafen wir den kürzlich angekommenen Oberpristaw, Oberst Kachanow. Er erkundigte sich nach dem Absatz der Bücher: „er wollte, wenn er nur Muße hätte, die Sache ganz anders angreifen; in Zeit von einigen Monaten müßten mehr als fünfhundert Kalmücken getauft seyn; die Hauptsache beruhe seines Dafürhaltens darauf, den Leuten nicht erst viel vorzupredigen, sondern ihnen einige Traktätchen in die Hände zu geben, und wenn sie dieselben gelesen hätten, sie sogleich zu taufen.“ Er schien jedoch letztern Satz zu verbessern, indem er hinzufügte: „Das Volk sey unwissend. Zu dem Ende müssen erst Unterrichtsanstalten gegründet werden. Deshalb sey auch bereits in Astrachan auf den Druck eines kalmück’schen ABC-Buchs mit angehängten Glauensartikeln und den zehn Geboten Bedacht genommen.“

Dem Oberpristaw, als dem Repräsentanten der hohen Regierung, standen freilich allerhand Mittel zu Gebot, die Kalmücken der neuen Lehre geneigt zu machen. Denn ungeachtet viele Saißangs über das von ihm an sie gemachte Ansinnen, für die Bibelgesellschaft Beiträge zu geben, ihr Befremden ausdrückten, so ist doch aus dem Bericht der russischen Bibelgesellschaft zu ersehen, „daß die von den Kalmücken im astrachanschen Gouvernement gesammelten Beiträge die Summe von 1310 Rubeln betragen haben.“

(Schluß folgt.)

  1. Das Wort Kürä bedeutet einen Bezirk, mamentlich einen Bezirk von Zelten der Geistlichkeit, welche im Kreis um die Kirchenzelte herumliegen. Die Residenz des großen Dschings-chan, unter dem Namen Karakorum bekannt, hieß ursprünglich Chara-Kürä, d. h. der Bezirk des Volks.
  2. Wahrscheinlich Bilder ihrer Bobbi-sado, d. h. Erlöser oder Heiligen, welche die schwersten Prüfungen bestanden, und sich selbst aufopferten, um den sechs Classen der Creaturen Heil zu erwerben.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_494.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)