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Das Ausland. 1,2.1828

Pöbels, welcher nun durch einige Kartätschenladungen von der Artillerie unter Jusuf Khan, der zum Schutz des Harems gesandt war, bald zerstreut wurde.

Sonnabend den 3ten. Die Stadt ist, den Umständen nach, seit der Ankunft der russischen Armee sehr ruhig gewesen. Das Benehmen dieser Truppen verdient in der That das höchste Lob; nur wenige sah man betrunken auf der Straße, obwohl sie freien Gang in der Stadt zu haben scheinen; und von Unannehmlichkeiten von einiger Bedeutung hat man noch gar nichts gehört. Das Einzige, was Mißvergnügen erregt hat, war, daß sie die öffentlichen Bäder besuchten, wodurch dieselben nach der Meinung der Muselmänner unrein geworden sind. Die Civilregierung der Stadt bleibt unter Aga Mir Fatha. Anfangs war eine Behörde errichtet worden, in der vier der angesehensten Einwohner den Vorsitz hatten. Diese mußten von allem, was vorgegangen war, Bericht an den Obersten abstatten, ohne dessen Genehmigung ihre Beschlüsse nicht vollzogen werden durften. Auf die Vorstellung des Aga Mir Fatha, daß dieß Tribunal seinen Einfluß auf die Einwohner vermindern würde, wurde die innere Verwaltung der Stadt ausschließlich seinen Händen anvertraut. Dieser Mensch hat die Absicht, sich zu dem ersten Machthaber von Aserbidschan zu machen; schon hat er Zuschriften an alle Ortshäuptlinge erlassen, worin er sie auffordert, sogleich die Partei von Rußland zu ergreifen, mit der Drohung, sie nach Sibirien zu schicken, wenn sie sich nicht beeilten, diesem Befehl nachzukommen. Dieß Verfahren, wenn es auch vortheilhaft war, soferne es manchen veranlaßen mochte, seinen Schritten zu folgen, wurde von General Paskewitsch nicht gebilligt. Mir Fatha vergißt, daß, wenn er sich seines Characters als Oberpriesters entkleidet, er dadurch die Macht selbst zerstört, die er bisher über die Gemüther seiner Mitbürger ausübte. Bei einer Gelegenheit machte er sich uneingeladen zum Gast an der Tafel des Oberbefehlshaber; er brachte einige Gerichte mit, die in seinem eigenen Hause gekocht waren, verschmähte aber auch andere von russischer Zubereitung nicht. Dieß Benehmen, das den Vorurtheilen der schiitischen Mahommedaner so sehr entgegen ist, hat in der Stadt zu seinem Nachtheil große Sensation erregt. – Aga Mahommed Ali, der Hofschmid des Prinzen, ist beauftragt worden, Schlüssel für die Thore von Tauris zu machen, da die alten verloren sind und doch dem Kaiser Schlüssel übergeben werden sollen. Auch vier Kanonen sollen gegossen werden zum Gedächtniß der Einnahme von Abbas-abad, Surdar-abad, Eriwan und Tauris; eine jede soll dann mit dem Namen von einem dieser Plätze bezeichnet werden. Die Einwohner der Stadt haben bisher an ihrem Eigenthum durch die Gegenwart der Russen noch keinen Verlust erlitten; anders war es aber der Fall in den umliegenden Dörfern. Das provisorische Gouvernement hat den Befehl an sie ausgestellt, Fourage für die Cavallerie und Zugvieh für die Armee zu liefern; beides wurde ohne die geringste Ordnung erhoben, indem das Vierfache der geforderten Quantität weggenommen und nicht das Geringste bezahlt wurde, worüber die Landleute sich bitterlich beklagen, weil sie dadurch ihrer Voräthe beraubt sind, die sie gesammelt hatten, um ihr Vieh zu überwintern.



Die Kalmücken.


(Schluß.)

Am 6 August verließen wir die Horde und erreichten nach einer Fahrt von wenigen Stunden die Wolga. Welch freudiges Gefühl war es für uns, als wir den vor mehr als zwei Monaten verlassenen Strom wieder erblickten! Außer einigen alten Weiden beim Hoflager der Fürstin Nadmid hatten wir auf der ganzen Reise keinen Baum oder Strauch gesehen. In dem russischen Dorf Kopanowskaja erquickten wir uns mit allem, was dasselbe darbot, Milch, Eyer, Brod und Arbuse. Dafür hatten wir aber in der Nacht viel auszustehen von blutgierigen Mücken und Flöhen, von welchen wir in der freien Steppe verschon geblieben waren, da erstere Kinder des Flusses, letztere Geburten der häuslichen Unreinlichkeit sind. Sie waren so häufig in den Russendörfern an der Wolga und Aktuba, daß sie allein schon im Stande waren, uns schlaflose Nächte zu bereiten, wiewohl wir stets auf den Höfen und auf den flachen Dächern, wo wir die beschwerlichen Gäste noch am wenigsten zu fürchten hatten, nie aber in den Häusern selbst übernachteten. Die Mücken waren am Tage gar nicht zu spüren, allein bald nach Sonnenuntergang erfüllten Myriaden derselben die Luft und unablässig umsurrten sie uns mit ihrem blutdürstigen Schlachtgesang. Gegen diesen Feind schützten wir uns nur dadurch, daß wir uns russische Mückenzelte anschafften, unter welchen wir schliefen. Diese sind auf einem leichten Luftfensterzeug, Polog genannt, verfertigt, in der Gestalt eines viereckigen Sacks, der etwas länger und weiter als ein Mensch ist. An den Kanten und Ecken des Sacks finden sich Band-Oesen, durch welche Schnüre gezogen sind. Diese werden an die Stäbe, die man an den vier Ecken in die Erde steckt, befestigt, und somit ist das Zelt aufgespannt. Der Eingang befindet sich auf der untern langen Seite, welche der Länge nach aufgeschnitten ist. Beim Hineinkriechen muß man daher die Oeffnung nach einer Seite vorziehen und schlägt sodann die untern Theile unter das Lager, so daß man auf die einzige Oeffnung zu liegen kommt, und sich in einer Festung befindet, die manchen Raupengespinnsten nicht ganz unähnlich ist.

Am 9 August setzten wir über die Wolga und betraten das Gebiet der Choschuden.

Fürst Sered-Dschab, russischer Oberster und Inhaber mehrerer Orden, zeichnet sich durch Bildung und wissenschaftliche Kenntnisse sehr merklich vor andern kalmück’schen Fürsten aus und hat bereits viel zur Kultivirung seines Volks gethan, welches ihn freilich mehr fürchtet als liebt, da es seine Bemühungen als schädliche Neuerungen betrachtet. Er bewohnt am linken Wolgaufer ein großes, etwa dreißig Schritt langes hölzernes Gebäude, welches er nach seiner Rückkehr aus dem französischen Krieg, in welchem er seine und die torguder Kalmücken befehligte, durch russische Werkmeister hatte aufführen lassen. Das Innere ist schön, es enthält mehrere Säle mit gläsernen Kronleuchtern und großen Spiegeln, ein Biliard, ein Fortepiano

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 478. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_496.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)