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Das Ausland. 1,2.1828

und mehrere Spieluhren, und ist mit schönen Mahagonimöbeln eingerichtet. Doch schlägt der Fürst während eines Theils der warmen Jahreszeit sein Hoflager in der Steppe auf.

Wir wurden von dem Fürsten, dem wir das Empfehlungsschreiben des Ministers überreichten, freundlich aufgenommen. Oberst Kachanow war hier gleichfalls anwesend und wir speisten mit ihm und seinem nächsten Gefolge an der Tafel des Fürsten, an welcher sich außer diesem und seiner Tochter noch zwei seiner Brüder, Batur-Ubaschi und Tscheringka, ein junger verarmter tatarischer Prinz, Namens Ered-Dschab, und ein russischer Sekretär des Fürsten befanden. Die Fürstin war kränklich, weshalb wir sie nicht zu sehen bekamen. Die Tafel war in einem Gartenhause des kleinen aber schönen Gartens gedeckt, welcher an die Hinterseite des Hauses stößt.

Zur Vorkost wurde eine kleine nett gedrechselte kalmück’sche Schale mit dreifach abgezogenem Milchbranntwein (Arsa), nebst geräuchertem Lachs, braunschweiger Wurst und Semmel herumgereicht.

Bei der eigentlichen Mahlzeit vertrat Prinz Ered-Dschab das Amt der Frau vom Hause, indem er seinen Platz am untern Ende der Tafel einnahm und die Speisen vorlegte. Diese waren vortrefflich zubereitet, da der Fürst einen sehr geschickten russischen Koch besitzt.

Zuerst wurde in einer silbernen Terrine Hühnersuppe aufgetragen; auf diese folgte Rindfleisch, Kälber-, Schöpsen- und Antilopenbraten, gefüllt und ungefüllt, mit Gurken, Krautsalat, Pfefferkuchen und andern Zugemüßen. Auch der Wein war nicht vergessen: verschiedene Sorten griechischer Weine, Champagner und andere Franzweine wechselten ab. Der Nachtisch bestand aus Melonen, Arbusen und Pflaumen aus dem fürstlichen Garten. Unmittelbar nach aufgehobener Tafel wurde mit Kaffee aufgewartet, worauf sich die Gesellschaft im Garten zerstreute.

Während und nach der Tafel führte ein Korps von zehn bis zwölf Kalmücken unter Anführung eines russischen Kapellmeisters deutsche Symphonien und Märsche mit vieler Fertigkeit auf, wozu der Fürst die Musikalien aus Petersburg verschrieben hatte. Die Unterhaltung bei Tafel war frei und ungezwungen, wobei meist russisch, bisweilen auch kalmückisch und tatarisch, seltener deutsch gesprochen wurde. Ehe wir uns empfahlen, erklärte der Fürst, daß er Bücher von uns übernehmen werde. Als er unsern Büchervorrath in Empfang nahm, tadelte er viel an manchen Ausdrücken der Uebersetzung: so wünschte er die aus den Grundsprachen herübergenommenen Namen, z. B. Apostel, Prophet, Engel, sollten kalmückisch übersetzt, die Sprache in den Traktätchen sollte da, wo sie gegen das Religionssystem der Kalmücken eifert, schonender seyn.

Ehe wir abreisten, zeigte uns Batur-Ubaschi seine Merkwürdigkeiten. In einer Sammlung asiatischer, namentlich türkischer, Waffen zeichnete sich eine schöne türkische Kugelbüchse dadurch aus, daß sie auf dem Lauf mit einer türkischen Inschrift versehen war, welche nach der Dolmetschung Ered-Dschab’s also lautete: „Der Besitzer dieses Gewehrs möge es ohne Sünde tragen, und wer damit getödtet wird, dem mögen sich unverzüglich die Thore des Paradieses öffnen.“ Batur-Ubaschi schien ein großer Jagdliebhaber zu seyn; wir begegneten ihm nachher auf einer Falkenjagd an der Aktuba. Er war aber auch ein Gelehrter und Geschichtsforscher. Unter seinen Büchern befand sich neben andern guten historischen Werken eine russische Uebersetzung des Abul-Ghasi-Bakadur-Chan’schen Werks. Batur-Ubaschi hatte viele mongolischen handschriftlichen Geschichtsurkunden verglichen, und war Willens, die zahlreichen von ihm niedergeschriebenen Bemerkungen durch den Druck bekannt zu machen.

Es war Mittag, als wir unsre Reise nach der Aktuba antraten. Der Prinz Ered-Dschab begleitete uns. Seine Familie stammt, wie er erzählte, aus Bochara und hatte gegenwärtig ihren Aufenthalt in Astrachan. Er selbst war im französischen Krieg Adjutant bei General Jermolow gewesen, Kaufmann geworden, hatte Bankerott gemacht und ist nun der Theelieferant der choschuder Horde, wo ihm der Fürst das Monopol ertheilt hat.

Das Wiesenland, welches wir durchzogen – die Russen nennen es Saimisch-Land – war mit dem üppigsten Graswuchs bedeckt, wozu die ungemeine Wärme, die nach dem Ablauf der um die Zeit der Hochgewässer mehr als vierzig Werste breiten Wolga eintritt, das Ihrige beiträgt. Diese Fruchtbarkeit ist die Hauptquelle des Wohlstandes der Choschuden, welche hier die Stelle der goldenen Horde eingenommen haben, so wie die Kosacken und Kirgisen die Stelle der blauen Horde (Kükü-Orda) am Jaik, wo wahrscheinlich Batu-Chan seine Tage beschloß, von dem die Sage sagt: „er starb in der nun unbekannt gewordenen Stadt Kokorda!“ Die Gegend an der Aktuba ist reich an Denkmalen der Vorzeit: Selitrenoi-Gorodok, von den Tataren Tschigit genannt, ist eine Stadt, deren Trümmer sich weit längs den Ufern des hier breiten und tiefen Flusses erstrecken. Die aus lasurblau glasirten Backsteinen gebauten und mit Mosaik bunt verzierten Reste von alten Mauern erinnern an den sarcenischen Baugeschmack, der im Orient, in Egypten und in Spanien derselbe war. Ein großes mehr als Klafter breites und über einen Schuh hohes Mauerstück, welches ein Bauer seinem Hause einverleibt hatte, enthielt auf blauem Grund eine große weiße tatarische Schrift mit allerhand Arabesken: hier sahen wir, daß die Figuren nicht in die Glasur gemalt, sondern von der Mörtelmasse des Grundes ausgeschnitten und mit ihren verschiedenen Farben eingesetzt waren. Ich verschaffte mir in Selitrenoi-Gorodok eine Menge Alterthümer [1], ein kupfernes Amulet mit magischen Charakteren, mehrere Ringsteine und geschliffene Steine (worunter ein Mokha-Stein oder Akik-Jemani mit dem mahommedanischen Spruch: es ist kein Gott, als der einige Gott), silberne und kupferne Münzen der alten Chane von Tochtocho-Chan (710 Heg.) bis Asis-Chan (766).

Die Reliquien der alten tatarisch-kaptschak’schen Hauptstadt Serag weiter oben an der Aktuba sahen wir nicht:


  1. Ein Alabasterstein mit griechischer Inschrift, an der Aktuba gefunden, copirt und beschrieben in J. von Hammers Fundgruben ging in Sareptas Brand zu Grunde.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_497.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)