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Das Ausland. 1,2.1828

denn in dem russischen Dorfe Nikolajewsk, von wo wir rechts am Bogdoberg über die molokaner Dörfer an jenen Trümmern vorbey nach Sarepta zurückzukehren gedachten, erfuhren wir, daß unser Sarepta selbst in Trümmer verwandelt worden sey, und so hatte das Alterthümersuchen ein Ende, und wir eilten auf dem nächsten Weg nach unserer unglücklichen Heimat. Mit gepreßtem Herzen näherten wir uns der theuern Stadt; vor zwölf Tagen noch hatte sie geblüht, nun waren zwei Drittheile von ihr rauchende Schutthaufen, und die langen Schornsteine, die noch immer emporragten, stumme Zeugen der Größe der Gebäude, denen sie einst als Feuermauern gedient hatten, bezeichneten die Stätte der Verwüstung.



Die italienischen Räuber.


(Schluß.)

Endlich ging die Sonne auf, und die Räuber erwachten. Nachdem sie sich in einen Kreis gereiht hatten, zog einer ein kleines Buch aus der Tasche, reichte es S. und sagte: Lest! (Legete!) Es war ein Gebetbuch. Alle nahmen andächtig die Hüte ab, jeder zog einen Rosenkranz hervor, sie knieten nieder, bekreuzten sich, der Hauptmann küßte sein Kruzifix, und so hielten diese Menschen aufmerksam anhörend, was S. las, ihre Morgenandacht, als gute katholische Christen. – Nachdem sie nun von dem Uebriggebliebenen des gestrigen Mahles gefrühstückt, und dem Weinfäßchen zugesprochen hatten, war ihr erstes Geschäft, dem jungen Bauern zu ihrer Ergötzung einen Vorgeschmack von seinem wahrscheinlichen Schicksal zu geben. Alle, außer dem Hauptmann, der ruhig in sich gekehrt blieb, zogen die Dolche, befahlen dem armen gefesselten Menschen niederzuknien, und ein alter Kerl mit einem wahren Höllengesichte sagte: Bereitet Euch zum Tode; wobei er aber dem Maler mit den Augen winkte, daß es nichts zu bedeuten habe. Er that, als ob er zustoßen wollte, und als der arme Geängstigte, wimmernd, Hände ringend und sich krümmend wie ein Wurm, um sein Leben bat, sagte er seitwärts gewandt halblaut zu S.: Was für ein Laffe! (che minchione!) Der Hauptmann stieß indessen von Zeit zu Zeit zornige Worte aus über das so lange Ausbleiben des Boten, und spielte mit dem Griffe seines Dolches. Endlich zog er diesen aus der Scheide, prüfte die lange blanke und scharfe Klinge, sie auf der Erde biegend, und sagte: ein schönes Instrument, das nie fehlt, (vedete, signor Federigo, un bell’ stromento, manco mai!) und machte damit zur Uebung eine Bewegung gegen den Unterleib des S., als wolle er ihn von unten hinauf in das Herz stoßen. S. ungewiß, ob nicht durch fortgesetzte Versuche dieser Art bei dem Ehrenmann die Mordlust wirklich geweckt werden könne; fragt ihn: also stoßt ihr von unten hinauf, warum nicht von oben hinab? Mit seinem schrecklichen Lächeln antwortet der Hauptmann: man sieht, daß Ihr noch keinen Dolch geführt habt! Oben sind ja Knochen, aber von unten fährt jeder Stoß ins Herz. Darauf versank er wieder eine Zeitlang in sein trübes Sinnen, immer den Dolch betrachtend, endlich fuhr er auf: Ihr seyd Soldat gewesen, wie putzt Ihr Eure Gewehre? Seht dieser Dolch hat Flecken, die ich nicht weg bringen kann, (nach einer Pause hinzusetzend) es ist Menschenblut, und ich mag es nicht sehen; wißt Ihr ein Mittel, sie zu tilgen? S. erwiederte: Wir Soldaten nehmen Essig und Ziegelmehl, das reinigt allen Stahl. Der Hauptmann murmelt lächelnd vor sich hin: Ich wills versuchen, aber ich glaubte nicht, daß sie weggehen. Später erzählte er: er besitze ein ganzes Kästchen voll Miniaturgemälde , die er von einem engländischen Herrn bekommen habe; diese wolle er ihm schenken, wenn er bei ihnen bleiben wolle: auf ihren Zügen könne er genug zeichnen und nach der Natur studiren. S. entschuldigte sich mit einem Ruf nach Neapel, worauf der Räuber ihm die tröstliche Versicherung machte: Nun denn sehen wir uns noch einmal auf eurer Reise, denn ich bin gesonnen, eine Expedition dahin zu unternehmen.

Es war fast Abend geworden, und 36 Stunden waren den Unglücklichen vorüber gegangen; da erschien wieder ein Bote von Olevano, der noch 300 Scudi brachte, die mit Noth und Mühe im ganzen Ort zusammengeborgt waren, mit den beweglichsten Bitten, nun den jungen Landmann loszulassen. Der Hauptmann, noch nicht befriedigt, nahm das Geld unter heftigen Verwünschungen an, setzte noch eine letzte Frist bis zum nächsten Morgen, in welcher nun noch 500 Scudi da seyn müßten, länger aber keine Lebensrettung für den Gefangenen zu hoffen sey, da sie sich keinen Augenblick länger gefahrlos in dieser Gegend aufhalten könnten. Der Bote ging. Als die Sonne sich dem Meere näherte, richtete der Hauptmann sich auf, und sagte zu S.: Jetzt könnt ihr gehen, Friedrich! (Federigo, adesso potete andare!) Habt ihr Geld? (Avete danari! Ma avete) – aber ihr habt ja – er vollendete seine Rede nicht, sondern griff in die Tasche, nahm 2 Scudi heraus, drückte sie S. in die Hand, und sagte: das wird genug seyn bis Rom, lebt wohl und seyd versichert, daß ich Euch im Herzen behalte! (Sarà basta fin a Roma! Addio Federigo! siete assicurato, che io vi tengo in cuore.) S. wollte ihm die Hand zum Abschied reichen, aber der Hauptmann wandte sich stumm ab, und winkte ihm, wegzugehen. S. gab nun den übrigen Räubern die Hand, und ging den Berg hinab. Kaum war er etwa 100 Schritte gegangen, so rief es hinter ihm drein, und im Umschauen sah er den alten Räuber ihm zuwinken: er solle wieder hinaufkommen. Noch war er nicht aus der Schußweite, wagte also nicht zu widerstreben, und stieg langsam und schweren Herzens wieder aufwärts. Oben angekommen, rief ihm der Räuber zu: Ihr habt mein Schnupftuch noch, gebt es her! Als er nemlich aus dem Landhaus abgeführt, gebunden und ausgeplündert wurde, nahm dieser Räuber S. Schnupftuch, das noch ziemlich trocken war, sein Gewehrschloß damit zu umwinden, und gab ihm dagegen sein durchnäßtes, das aber noch neu war, und deshalb verlangte er es jetzt zurück. Endlich durfte er wieder gehen, und langte nach einigen Stunden in dem Trauerhause der Eltern des Zurückgebliebenen an, der am andern Morgen, nachdem die verlangten 500 Scudi noch zusammengebracht waren, gleichfalls frei gelassen wurde.

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_498.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)