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Das Ausland. 1,2.1828

– wie ein Correspondent aus New-York unter dem 14 März uns schreibt - selbst in America unmöglich vorauszusehen. Wenn auf der einen Seite nicht geleugnet werden kann, daß Bolivars Einfluß von großem Gewicht ist, so geben doch auf der andern seine Gegner ihre Sache keinesweges verloren und ihr Organ, die Zeitung El Federal, erscheint zu Caraccas ungehindert und unmittelbar unter den Augen der Militärregierung.

Ein sehr unterrichteter Columbier, der in Nordamerica lebt, Don J. M. Salazar, sagt in einer kürzlich zu Philadelphia erschienenen Flugschrift in Bezug auf den mehrfach gemachten Vorschlag, auch in Columbien, wie neuerdings in Mexico, die Verfassung der V. St. von Nordamerica zum Muster zu nehmen:

„Die Gerechtigkeit verlangt, daß wir die wesentlichen Vortheile und den practischen Nutzen der Verfassung der V. St. anerkennen, aber es ist eine Absurdität, sie Ländern, wo die Elemente des Lebens völlig verschieden sind, ohne Weiteres anpassen zu wollen. Weder Politik noch Medizin lassen eine Panacea zu – Utopien eines Morus und die Flexio des Paracelsus sind gleich chimärisch. Die Form der Regierung ist mehr die Wirkung als die Ursache des gesellschaftlichen Zustandes wenigstens in ihrem Ursprunge, obgleich die Rückwirkung später allerdings bedeutend seyn kann; Gesetze wirken nicht wie Maschinen; Menschen sind es, die sie handhaben und ihnen gehorchen; und eine politische Verfassung ist kein Zauberstab, mit dem man Völker umzaubern könnte.“ – An einer andern Stelle betrachtet er den Wunsch einiger seiner Landsleute, eine constitutionelle Monarchie zu errichten und führt als einen unüberwindlichen Grund dagegen, merkwürdig genug, an, daß das Land zu arm sey, um Adel und hohe Geistlichkeit für ein Oberhaus zu ernähren, was aber doch bei einer constitutionellen Monarchie als Gegengewicht gegen die Krone unerläßlich sey. Doch wir können ihn selbst reden lassen: „Eine constitutionelle Verfassung ist der Gegenstand vieler Debatten bei uns gewesen, obgleich fast nur privatim und kaum in öffentlichen Blättern erwähnt; aber ohne Zweifel haben wir das Recht, unsere Meinung über diesen Gegenstand durch die Presse auszudrücken. Es scheint nun, nach dem Verlauf von 16 Jahren, seit dem Sieg der republicanischen Grundsätze, zu spät zu seyn, über einen Punkt zu räsonniren, der so lange bereits practisch entschieden ist. Wer indessen die Monarchie vertheidigen oder empfehlen wollte, müßte vor allen Dingen drei Punkte beweisen, daß eine constitutionelle Monarchie die beste Regierungsform sey; daß wir die Mittel besitzen, den Glanz und Pomp eines Hofes, eines Adels und einer hohen Geistlichkeit – um ein Oberhaus zu bilden, das der Krone als Gegengewicht dienen muß – so wie alle die andern Einrichtungen, die diese Regierungsform nöthig macht, zu erhalten; endlich, daß die Monarchie der öffentlichen Meinung willkommen sey, ohne welche sie offenbar nicht bestehen könnte. Das erste ist sehr schwer, wenn nicht unmöglich, das zweite wird von unsern eignen Augen widerlegt, das dritte durch die Thatsache, die man sehr wohl durch ganz Südamerika kennt, daß sich seit unserer politischen Umbildung (de su transformacion politica) in allen Schriften und allen Versammlungen die entschiedenste Meinung für eine repräsentative, republikanische Regierung ausgesprochen hat.“ –

(Schluß folgt.)


General Pelets Urtheil über die Angelegenheiten des Orients.


(Schluß.)

Man darf sich über die Schwierigkeiten dieses Krieges nicht täuschen, er wird sich in die Länge ziehen und schrecklich seyn; denn die Wuth eines doppelten Fanatismus wird in ihm entbrennen, die wilden Osmanlis werden glauben, für die Fahne ihres Propheten zu fechten; sie werden sich dem Tode weihen, um ihre Moscheen und die Gräber ihrer Väter zu vertheidigen. Die Mahommedaner in Persien, in Asien und Africa werden ihren Brüdern in Europa zu Hülfe eilen. Wenn je die Russen nach Constantinopel kommen, so müssen sie noch die südlichen Küsten der Propontis erobern; sie müssen durch feste Plätze und Lager, durch einen Länderstreif in der Halbinsel von Scutari, in der alten Troas, bis zu den historischen Namen des Scamander und des Granicus [1] vordringen. Rußland wird alle seine Kräfte aufbieten müssen, um einen solchen Krieg zu führen. Man darf sonach voraussetzen, daß der Czar, ehe er ihn unternimmt, sich der Allianz oder der Neutralität der benachbarten Mächten versichert haben wird. Sicher aber wird er sich nicht den Gefahren einer solchen Unternehmung aussetzen, um an den Ufern der Propontis einen unabhängigen Staat [2] zu errichten, der ihm in einigen Jahren diesen Durchgang verschließen könnte.

  1. Vielleicht könnte man sich darauf beschränken, die Landenge des thrazischen Chersonesus zu öffnen, um in Kriegszeiten den Durchgang der Schiffe aus dem Meere von Marmora in den Archipelagus zu erleichtern.
  2. Ist die Wiederherstellung des griechischen Reichs möglich? Diese Frage ist schwer zu lösen. Die ganze Bevölkerung der Türkei beträgt 24 (?) Millionen Menschen, unter denen 14 Millionen Mahommedaner, 7 Millionen Griechen etc. Die Oberfläche enthält 41,000 Quadratmeilen; dabei rechnet man 591 Menschen auf die Quadratmeile. Die europäische Türkei hat 10,600,000 Einw., wovon 3,241,000 Mahommedaner, und 4,300,000 Griechen. Zieht man davon ab die Moldau, die Wallachei und einige Theile von Bulgarien, mit 1,500,000 Einw., für Rußland; Servien, Bosnien und Albanien, mit 1,500,000 Einw. für Oesterreich; Morea, den Archipel und Livadien, mit 1,600,000 Einw., für England und die Hellenen: so würden für das neue Reich ungefähr 5 Millionen Seelen bleiben, deren größere Hälfte aus Türken, folglich aus unversöhnlichen Feinden der an Knechtschaft gewöhnten Griechen bestände. In diesem vom Kriege verwüsteten Lande müßte Alles geschaffen werden, – Ackerbau, Industrie, Handel, Verwaltung, Finanzen, und vor Allem ein Volksgeist. Eine sehr mächtige Hand wäre nöthig, um diese entgegengesetzten Elemente zu vereinen und ein Reich zu gründen. Man kann nicht daran denken, seine Grenzen weit in Anatolien hinein zu tragen, weil hier die mahommendanische Bevölkerung die zahlreichere ist. Die europäischen Türken würden sich vielleicht eher dem russisschen Scepter unterwerfen, der bereits 2,524,000 mahommedanische Unterthanen zählt.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_510.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2023)