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Das Ausland. 1,2.1828

vor, den Ball im Freien fortzusetzen. Hierauf vereinigten alle Lustpartien, die sich rings in der Nachbarschaft zusammengethan hatten, ihre Musik mit der unsrigen, und der König, der Admiral, der General, Männer und Weiber sprangen mit einem solchen Lärmen und einer solchen Verwirrung durch einander, daß, wer noch einen Funken von Vernunft hatte, sich glücklich schätzen mußte, wenn er dem Gewühl sich entziehen konnte.

Nach Beendigung des Balls fing man wieder an zu trinken; dießmal nahmen die Frauen am Gelag Theil. Aber ehe die Häuptlinge den Kopf ganz verloren hatten, hießen sie die Frauen nach Hause gehen, ohne Zweifel, damit diese sich nicht am Ende außer Stand setzten, ihren Männern die erforderliche Pflege zu erweisen. Man blieb die Nacht bei der Kürbisflasche sitzen. Von Zeit zu Zeit ließ sich das Gewirbel der Trommeln und der Knall der Flinten, die sie, bis an die Mündung mit Pulver gefüllt, losschoßen, vor der Thüre vernehmen. Hatte einer der Zecher seinen Rausch, wie sich’s gebührte, so wurde in der Geschwindigkeit die Frau herbei geholt, die den Theuren unter ihre Obhut nahm. Kaum war derselbe einiger Maßen wieder bei Troste, so kehrte er zu den Orgien zurück. Den ganzen folgenden Tag ging es in demselben Tempo fort; man leerte die Maniok- und Maisliqueure, welche nach dem Kokosgeist abgezapft wurden, bis auf die Hefen. Erst in der dritten Nacht, als alle Getränke erschöpft waren, begaben sich die Indianer nach Hause. Die meisten von ihnen befanden sich in einem jämmerlichen Zustande und klagten sehr über Kopfschmerzen. Zu ihrer Ehre indessen sey es gesagt, daß es während der Schwelgerei, vom Anfang bis zum Ende, friedfertig und ohne Streit ablief.

Durch mein Tanzen und meine Unterhaltung hatte ich mir die Gunst des Königs im höchsten Grade erworben. Einen Beweis davon gab er mir, indem er mich zu seinem Gesandten bei einem Stammhäuptling ernannte, der sich unabhängig zu machen suchte. Der General Blyatt begleitete mich. Der Gouverneur Clementi (dieß ist der Name des Häuptlings) kam uns nicht entgegen; er beschränkte sich darauf, uns in seiner Wohnung Audienz zu ertheilen. Bei unserm Eintritt erhob er sich von seinem Sitz, reichte mir und Blyatt die Hand, und sagte: seyd willkommen! Unsre Begleiter wurden von ihm keiner Aufmerksamkeit gewürdigt. Dieser alte Häuptling, ein Mann von hohem Wuchs, stark und kräftig, fünfzig bis sechzig Jahre alt, dessen Physiognomie und Rede auf mich einen tiefen Eindruck machten, schien mir ein edler Repräsentant jener alten Kaziken zu seyn, deren Abkömmling er war. Er hatte die Manieren der Indianer, aber Ernst und Nachdenken sprach aus seinen Zügen. Man sah ihm an, daß er sich durch das Joch der Mosquitos erniedrigt fühlte, als ein Mann, der selbst zu herrschen gewohnt war. Er trug eine alte spanische Uniform, blau mit rothen Aufschlägen, verschwenderisch ausstaffirt mit goldenen Tressen, die jedoch durch die Zeit etwas an Glanz verloren hatten. Eine alte, goldgestickte Weste von weißem Atlaß mit großen Taschen, Beinkleider von weißer Sarsche, baumwollene Strümpfe von derselben Farbe, Schuhe mit breiten silbernen Schnallen – vollendeten seinen Anzug. In der Hand hielt er einen großen Stock mit goldenem Knopf nach der Art der Alkalden in den vormaligen spanischen Provinzen Südamerikas. Betrachtend die edle und ungezwungene Haltung dieses alten Häuptlings, im grellen Abstich gegen die Rohheit der Mosquitos, konnte ich nicht umhin, mir zu sagen, daß durch die Herrschaft der Sambos die Fortschritte der Gesittung unter den eigentlichen Indianern wesentlich verzögert worden seyen.


Suniten und Schiiten.

In einem ähnlichen Verhältnisse wie unter den Bekennern des Christenthums die Protestanten den Katholiken, stehen unter den Mahommedanern bekanntlich die Schiiten den Suniten gegenüber: beide glauben an die göttliche Sendung des Propheten und an sein im Koran niedergelegtes Gesetz; die Schiiten läugnen aber die Rechtmäßigkeit der drei ersten Khalifen, Abubekr, Omar und Osman und ihrer Nachfolger, und verwerfen die Tratitionen, die auf der Autorität dieser Khalifen beruhen. – Die Perser, die, obwohl rings von Suniten umgeben – den Osmanen, Arabern, Afghanen und Turkomanen – sich zum Schiismus bekennen, erzählen von einem ihrer Lehrern des Gesetzes, er sey mit vier Lehrern der orthodoxen Secten zu einer Versammlung berufen worden, um zu entscheiden, ob Sultan Khodah-bundah, der Urenkel des Dschengiskhan, ein Weib zurücknehmen dürfe, das er dreimal verstoßen hatte, ohne dem von der Suna vorgeschriebenen Gebrauche, sie erst mit einem andern Manne zu vermählen, nachzukommen. Der Schiit nahm mit verstelltem bäurischen Wesen seine Pantoffeln, statt sie auf der Schwelle des Gemaches stehen zu lassen, unter den Arm. Diese Handlung veranlaßte ein allgemeines Gelächter, und man fragte ihn um die Ursache. „Wir haben eine Sage in unserer Familie, antwortete er, daß einem unserer Vorfahren, der in den Tagen des Propheten lebte, durch einen Schüler Hanifa’s die Pantoffeln gestohlen worden wären!“ Alle brachen in ein lautes Gelächter aus, und er wurde berichtet, daß Hanifa selbst nicht eher als ein Jahrhundert nach des Propheten Tode seine Lehre verbreitet habe. „Es wird also ein Schüler von Malik gewesen seyn!“ Die Luft wurde noch lauter, als der unwissende Lehrer von dem Zeitalter Malik’s unterrichtet wurde, der erst nach Hanifa lebte. „Dann war es Schaffei!“ – aber dieser war aus einer noch späteren Zeit. „Es muß,“ rief der Schiit, indem er sich ganz erzürnt stellte, „es muß Hanbal gewesen seyn!“ Dieser heilige Mann, wurde ihm gesagt, gab seine Werke nicht eher als in dem zweiten Jahrhundert der Hedschira heraus. der Schiit fuhr bei dieser Erklärung mit verstelltem Erstaunen zurück und rief aus: „Wie! wenn ihr alle die Wahrheit sagt, so lebten diese heiligen Männer, deren Meinungen ihr für uns zum Gesetz machen wollt, so lange nach unserm Propheten, daß sie ihn eben so wenig, als ihr und ich, ihr Herren, persönlich kennen konnten, außer sofern sie mehr oder weniger gelehrt waren!“ Indem er dieß sagte, stand er auf und ging ab; bald wurde indeß von dem König nach ihm gesandt und dieser fragte ihn, ob er wohl glaube, daß er sein Weib zurücknehmen könne, ohne sie zuvor an einen andern zu verheirathen? „Wenn keine größere Autorität dagegen ist, als die dieser neuen Heiligen, so kann ich keine Sünde darin sehen, dieß zu thun,“ war die Antwort. Der König war erfreut und handelte sogleich dieser Meinung gemäß; und dieser Umstand soll keinen geringen Antheil daran gehabt haben, daß sich Mahommed Khodah-bundah zum Glauben an die Lehren der Schiiten bekehrte. (Wem fällt hierbei nicht der Uebertritt Heinrichs VIII. von England zum Protestantismus ein?)

Malcolm, history of Persia. Vol. II. pag. 350
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_560.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2023)