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Das Ausland. 1,2.1828

stehen mit einander in Einklang: ihre Schönheit ist nicht der primitiven Race eigenthümlich, sondern stammt aus der Vermischung mit dem cirkassischen und georgischen Blut, so daß in der halbgriechischen Nase und dem feingeschnittenen Munde nichts mehr von dem scythischen Barbaren zu erkennen ist. Auch die Stimme der Türken ist bewundernswerth; und ihre vocalreiche Sprache ist so im Einklang mit dieser Stimme und so verschieden von dem gedehnten Gutturalaccent des Arabers, daß, wenn man sie mit halblauter Stimme mit einander sprechen hört, man sich in irgend einen Divan versetzt glaubt, mit weichen Polstern belegt, vom milden Dämmerlichte, das durch gemalte Fenster blickt, schwach beleuchtet, während das Murmeln der Fontaine und das leise Rauschen der Palmen das Steigen und Fallen des Tons der Unterhaltung leitet. Weder Schmerz noch Freude ergreifen den Türken mit Leidenschaft; ist er unglücklich, so erträgt er seinen Kummer stumm und ernst; ist er glücklich, so läßt er sich auch hievon nicht aus seiner Ruhe reißen. So leicht er das Vergangene vergißt, so sorgenlos blickt er in die Zukunft; diese beiden Drittel seines Lebens sind gleichsam abgeschnitten von ihm, und den kleinen Rest, die Gegenwart, genießt er ruhig und mäßig. Ein Grieche würde einer solchen Ruhe die Folter vorziehen, und für ihn wäre ein Himmel, ohne einen Himmel dießseits, eine Art Hölle. Man gebe ihm, wie dem Teufel der Legende, genug zu thun, und er wird sich regieren lassen; um dieß bei dem Türken zu können, lasse man ihn schlafen.–

(Schluß folgt.)


Marly, oder Pflanzerleben auf Jamaika.


(Schluß.)

Eines Tages besuchte der Aufseher während eines Regenschauers (einer seltenen Erscheinung auf Jamaika) Marly’s Gang nach der zum Mittagsessen ausgesetzten Frist, als er gerade die Pickeniny-Mütter auf das Feld kommen sah. Es mochten sechs bis acht solcher Mütter seyn, denen gestattet ist, Morgens und Nachmittags zehn Minuten nach der den Andern eingeräumten Ruhezeit auf dem Felde sich einzustellen. Diesen Nachmittag aber kamen sie, sey es nun wegen des Regens oder aus einem andern Grunde, ziemlich viel später; weßwegen der Aufseher, der ihnen deßhalb schon früher einen Verweis gegeben hatte, beschloß, ein Exempel zu statuiren. Er ließ ohne weitere Umstände eine nach der andern niederlegen, und ihnen eine mäßige Züchtigung von neun Peitschenhieben geben. Aufgebracht über die ihnen auferlegte Strafe schrien sie, der Buscha schlage die Pickeniny-Mümmas, da sie doch für den Massa zu arbeiten gehabt hatten. Die Züchtigung war nicht hart; allein es empörte sie, daß sie, wie sie glaubten, von dem Aufseher ungerechter Weise gestraft worden waren; sie überhäuften ihn mit Schimpfreden aller Art. Der Aufseher schien sich, obgleich durch diese Schmähungen eine Hiobsgeduld gebrochen wäre, eine Zeitlang nicht daran zu kehren; endlich aber übernahm ihn sein Aerger, er schwang sich auf seinen Maulesel und ritt davon. Kaum hatte er den Rücken gekehrt, als der ganze Gang den bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Chor: „Was kümmert mich die Strafe!“ anstimmte. Am nächsten Morgen stellte sich der Aufseher zu gleicher Zeit mit Marly bei dem Gange ein. Er wollte, wie es schien, selbst beobachten, ob die Neger genau zur vorgeschriebenen Zeit eintreffen, damit in dieser Woche noch die Felder gesäubert würden, um mit dem Pflanzen der neuen Zuckerröhre beginnen zu können. Zum Unglück erschienen sieben oder acht von Marlys Leuten, meist alte Männer und Weiber, zu spät auf dem Platze. Wie sie ankamen, ließ sie der Aufseher sogleich niederlegen und züchtigen. Jeder von ihnen bekam zwölf Peitschenhiebe. Marly fühlte das innigste Mitleid mit diesen unglücklichen, wahrhaft elenden Creaturen, von denen die meisten schon an dem Rande der Ewigkeit standen. Sie schrien mehrmals um Erbarmen; allein der Aufseher war unerbittlich. Da sie sahen, daß ihr flehentlichstes Geschrei den Aufseher nicht zu rühren vermochte, und der Treiber immer noch die Peitsche schwang, schrien mehrere unter den heftigen Streichen: „Niemand erbarmt sich der armen alten Negers, als der Massa droben (Gott)!“ Was bei diesem Auftritt Marly, den die Gewohnheit noch nicht gegen solche Abscheulichkeiten abgestumpft hatte, am meisten empörte, war der jammervolle Anblick der Kinder, die mit ansahen, wie ihre Mütter und Väter auf das Grausamste und Entehrendste mißhandelt wurden, ohne eine Klage zu wagen. Die letzte, welche niedergelegt wurde, war die Mutter von dem Jungen des Aufsehers, eine der jüngsten unter ihnen. Auch sie bat auf das Flehentlichste um Gnade, und auch ihr Sohn, der ohne Zweifel glaubte, sich mehr Freiheit gegen den Buscha herausnehmen zu dürfen, bat für seine Mümma um Verzeihung. Da er fand, daß ihre vereinten Bitten nichts fruchteten, sprang er wüthend auf den Aufseher zu, als wollte er ihn zur Erfüllung seiner Bitte zwingen, und hatte ihm, ehe er sich versah, so das Gesicht zerkratzt, daß das Blut von ihm lief. – Sie bekam demungeachtet ihr Dutzend Schläge. Obgleich der Buscha den Schmerz seiner Wunden heftig empfinden mußte, und sichtbar ergrimmte, so vermochte er doch nicht über sich, den Knaben für diesen Beweis kindlicher Liebe bestrafen zu lassen; er bestieg sogleich seinen Maulesel und ritt davon, während der Knabe wie gewöhnlich das Thier beim Schweife hielt, und mit in den gewöhnlichen Sang einstimmte: „Was kümmert mich die Strafe!“ Der Aerger des Aufsehers war beinahe verraucht, als der nach Hause kam; denn sein Bursche bekam blos ein paar Ohrfeigen, und die Ermahnung, sich in Zukunft besser aufzuführen, wofern er nicht unter die Feldneger versetzt werden wolle. –

Obgleich die Neger, und überhaupt jedes menschliche Geschöpf, das den Teint des sogenannten schwarzen Blutes hat, in Westindien als eine gegenüber von den Weißen niedrigere Menschenrace und nicht viel höher als das Vieh geachtet wird, so wird doch der weibliche

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_562.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)