Seite:Das Ausland (1828) 583.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 140. 19 May 1828.

Die Belagerung von Bhurtpur.[1]


Seit der Begründung der brittischen Herrschaft in Indien sind wenig Perioden gefahrvoller für dieselbe gewesen, als die zwischen den Jahren 1822 und 1826. Mit den beiden mächtigsten Nachbarn der Britten – mit dem König von Ava auf der einen und mit dem Radschah von Bhurtpur auf der andern Seite – waren Streitigkeiten ausgebrochen, die mit einer Heftigkeit geführt wurden, welche von Anfang an keine andere Entscheidung erwarten ließ, als die durch das Glück der Waffen; von dem Ausgang dieses Kampfes hing die Fortdauer, oder die völlige Auflösung des brittischen Reiches in Indien ab. Die Herrschaft der englisch-ostindischen Compagnie beruht mehr als vielleicht irgend eine andere in der Welt, auf der Macht der Meinung. Die Engländer behaupten sich in Indien, unter einem Volke, in Sitten, Gewohnheiten, Sprache, Religion, kurz in allem, was die Bande der Gesellschaft knüpft, verschieden von ihnen, nur durch den Glauben, daß sie im Kriege unüberwindlich seyen. Sie werden nicht geliebt und selbst nicht einmal geachtet, aber sie werden gefürchtet. Und wenn die Hindu nicht beständig in Aufstände und Empörungen ausbrechen, so ist der Grund davon hauptsächlich in ihrer ausnehmenden Geduld zu suchen; nächstdem darin, daß sie keinen äußeren Stützpunct haben, an welchen sie sich anlehnen könnten. Bei der gegenwärtigen Gelegenheit hatten indessen die Feinde keine Bemühungen gespart, durch ihre Kundschafter das Land in Unruhe zu versetzen. Es ist bekannt, daß in dem brittischen Gebiet eine ausgedehnte Verschwörung entdeckt wurde, welche bei dem ersten Unfall der englischen Armee im Felde wirksam zu werden anfangen sollte. Welche Folgen ein solches Ereigniß gehabt hätte, wäre schwer zu bestimmen; aber außer allem Zweifel ist es, daß dieß Feuer, wenn es einmal ausgebrochen wäre, weit und breit um sich gegriffen haben würde, und daß die Behauptung von Indien, wenn es den Engländern geblieben wäre, ihnen jetzt mehr Blut und Gold gekostet haben würde, als während des ganzen Laufes seiner Eroberung.

Von den Verhältnissen, welche zu dem Bruch mit den Burmanen führten, und von dem Verlauf der Begebenheiten, welche darauf folgten, haben wir in diesen Blättern bereits bei Gelegenheit des unterhaltenden Werkes von Major Snodgraß über diesen Krieg gesprochen. Ueber die Belagerung von Bhurtpur ist bisher, außer den trockenen und nicht einmal verständlichen Zeitungsnachrichten nur wenig bekannt geworden; wir glauben daher, daß ein kurzer Bericht über dieselbe und über die Umstände, welche die Feindseligkeiten veranlaßten, unsern Lesern nicht unwillkommen seyn werde.

Im Jahr 1805, kurz nachdem die Engländer unter Lord Lake einen fehlgeschlagenen Versuch gemacht hatten, sich dieser wichtigen Festung zu bemeistern, hatte der Radschah von Bhurtpur, Bulder Singh, einen Freundschaftstractat mit der ostindischen Compagnie geschlossen, der allmälig zu einem Angriffs- und Vertheidigungs-Bündniß führte, wodurch der Radschah in eine wahre Abhängigkeit von der englischen Regierung gesetzt wurde. Aber zugleich war dem Radschah wohl bewußt, daß eine zahlreiche Partei unter seinen Unterthanen, seinen Neffen Durdschun Sal an ihrer Spitze, die bitterste Feindschaft gegen die Engländer hegte. Eben so war es ihm bekannt, daß sein Neffe die ehrsüchtigsten Plane nähre, und daß, sofern nicht bei Zeiten seinem Sohne der ruhige Besitz seines Thrones garantirt würde, sein Tod wahrscheinlich einen Wechsel der Dynastie zur Folge haben würde. Unter diesen Umständen beeilte sich der Fürst, der bereits bejahrt war, seinen Sohn Bulwent Singh zu seinem Nachfolger zu erklären; und erhielt für ihn von der Compagnie das Ehrenkleid, das sie – nach orientalischer Sitte – den einheimischen Fürsten zum Zeichen ihrer Anerkennung und ihres Schutzes zu senden pflegt. Dennoch hatte der alte Radschah sich kaum zu seinen Vätern versammelt, als das so sehr von ihm gefürchtete Ereigniß eintrat. Bulwent Singh wurde eben so schnell des Thrones entsetzt, als er ihn bestiegen hatte. Durdschun Sal, der Usurpator, hatte bereits bei Lebzeiten seines Oheims eine starke Partei in der Armee gehabt; nach dem Tode desselben stellte er sich offen an ihre Spitze, nahm Besitz von dem Palaste und vertrieb den jungen Prinzen, der sich in die Arme der Engländer warf und ihren Schutz ansprach.

Umsonst versuchten diese den Weg der Vorstellungen und Unterhandlungen, um ihren Schützling in seinen Rechten zu behaupten. Eine Sache aufzugeben, die sie einmal zu der ihrigen gemacht hatten, würde das Ansehen der brittischen Regierung in ganz Indien vernichtet haben: der Krieg mit dem Usurpator konnte daher nicht vermieden werden. Das Vertrauen der Eingebornen auf die uneinnehmbare Lage von Bhurtpur, so wie die große Wirkung,

  1. Blackwood’s Edinburgh Magazine, April 1828.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_583.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)