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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 142. 21 May 1828.

Napier’s Geschichte des spanischen Krieges vom Jahre 1807 bis 1814,.

[1]


Der Krieg in der Halbinsel, sagt ein englisches Blatt, [2]auf welchen die Augen von ganz Europa so viele Jahre hindurch gerichtet waren, hat zahlreiche Schilderer gefunden, und darunter mehrere von nicht geringem Talent; aber noch fehlte ihm ein Geschichtschreiber, der mit tiefen Kenntnissen in der Kriegskunst die Gabe vereinigte, die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Nationen welche in denselben verwickelt waren, richtig aufzufassen und darzustellen, der unpartheiisch und scharfsichtig genug gewesen wäre, die Verdienste der Feinde, wie die Fehler der Freunde einzusehen und anzuerkennen, und der zugleich einen lebendigen, wohlgerundeten und kräftigen Styl in seiner Gewalt gehabt, und mit der wechselnden Natur eines so mannigfaltigen Gegenstandes in Einklang zu bringen verstanden hätte. Ein solcher Geschichtschreiber ist Obrist Napier. Er war ein Augenzeuge von vielen der Begebenheiten, welche er erzählt, und außer den gedruckten Materialien, welche jedermann zu Gebot stehen, hat er die umfassendsten und wichtigsten Berichte von Offizieren, sowohl französischen als englischen erhalten, welche in dem Kriege gefochten haben. Unter diesen nennt er selbst, mit gleichem Ruhme, den Marschall Soult und den Herzog von Wellington. Als Obrist Napier sich mit der Bitte um die Mittheilung von Materialien zu seinem Werke an den letzteren wandte, soll sich gerade ein vornehmer Herr bei dem Herzog befunden haben, der aber, wie es scheint, Wellington und Napier gleich wenig kannte, indem er die Hoffnung aussprach: Se. Herrlichkeit werde einen Mann nicht unterstützen, der des Liberalismus verdächtig sey. „Es ist wahr, antwortete der Herzog, Napier ist ein verdammter Radicaler, aber, Herr, er wird die Wahrheit sagen.“ Wenn diese Anecdote, wie wir Ursache haben zu glauben, gegründet ist, so ist sie gleich ehrenvoll für Obrist Napier wie für den Herzog.

In der That, wir meinen, daß Napier kühn allen Parteien, wenn auch vielleicht nicht immer von allen Parteien die Wahrheit gesagt hat; wir glauben dieß um so mehr, je weniger eine einzige es zugestehen wird. Zum Belege können folgende Bemerkungen über die spanische Insurrection dienen, die wir ausziehen, um unsern Lesern eine Vorstellung von dem Geist und von dem Styl zu geben, in welchem das Werk geschrieben ist.

„Die allgemeine und beinahe gleichzeitige Aufregung des spanischen Volkes wurde von dem übrigen Europa mit Erstaunen und Bewunderung betrachtet; mit Erstaunen über die Kraft, welche so plötzlich in einer Nation erwachte, die man bisher für entnervt und tief erniedrigt gehalten hatte, mit Bewunderung wegen der kühnen Hingebung von Thaten, die, in der Entfernung gesehen, wo ihre gehässigen Einzelheiten unbekannt blieben, in aller idealen Schönheit der Vaterlandsliebe von Numantia erschienen. In England war der Enthusiasmus grenzenlos; geblendet anfangs durch den Glanz eines so unerwarteten Schauspiels überließen sich alle Stände dem Eindrucke eines edlen Mitgefühles und vergaßen – oder verschmähten sie aufzusuchen – die wahren Ursachen dieser scheinbar großherzigen Anstrengungen. Aber ohne im Geringsten den Wunsch zu haben, das Verdienst des spanischen Volkes zu schmälern, so können wir doch mit Grund bezweifeln, daß uneigennützige Charakterstärke die wahre Quelle seines Widerstandes gewesen sey. Bei Verfassungen, wie unsere neuern Staaten sie haben – wo wenig oder nichts in ihren Verwaltungs- oder Erziehungssystemen herrscht, was ein tiefes Gefühl der Vaterlandsliebe nähren könnte – wäre es in der That ein Wunder, wenn solche Wirkungen aus der reinen Tugend einer Nation hervorgingen, welche zwei Jahrhunderte lang unter dem Drucke des bürgerlichen und religiösen Despotismus geschmachtet hatte. Auch waren sie in der That das Ergebniß von mehreren zusammentretenden Ursachen, von denen viele nichts weniger als preiswürdig waren.

Ein charakteristischer Zug des Spaniers, in Beziehung auf öffentliche Angelegenheiten, ist unmäßiger Stolz und Anmaßung. Saumselig und sorglos, das Individuum wie die Masse, zeigen alle das albernste Vertrauen, daß nichts unmöglich sey, was sich nur immer ihrer erhitzten Einbildungskraft darbietet; einmal in Bewegung, sehen sie keine Schwierigkeiten mehr in der Ausführung eines Planes, und die Hindernisse, die sie finden, werden dem Verrathe zugeschrieben; daher die Ermordungen so vieler ehrenwerthen Männer zu Anfange des Aufstandes. Warm und herzlich in seinen Neigungen, aber eben so bitter in seinem

  1. History of the War in the Peninsula and in the South of France from the year 1807 to the year 1814 by W. F. P. Napier, Lt. Colonel, Vol. 1. London 1828. 8.
  2. London Weekly Review, April, 26.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 565. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_591.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2023)