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Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 143. 22 May 1828.

Die neugriechische Poesie.


(Fortsetzung.)

Die Verse selbst, deren der neue Gesang sich bedient, zeigen eine größere Mannigfaltigkeit und einen nähern Zusammenhang mit den alten Maßen der Griechen, als man gewöhnlich erwartet.

Die kürzeren Gattungen der jambischen und trochäischen Rhythmen, wie sie schon in ächten Bruchstücken des Anakreon, dann in der attischen Comödie angewandt erscheinen, sind ihnen geläufig.

Dem schönen anakreontischen Gesange εἰς Κόρην, einem der wenigen ächten, die des Dichters Namen tragen:[1]

Πῶλε Θρηκίη, τί δή με
Λοξὸν ὄμμασι βλέπουσα
Νηλέως φεύγεις, δοκεῖς δέ μ’
Ὂὐδὲν εἰδέναι σοφόνη;


Junge Thrakierin, warum doch
Gleich dem Füllen trotzig blickend
Fliehst du grausam mich, als wär ich
Nimmerdar von dir gekannt?

und den nach seinen Maßen gebildeten Stellen der alten Comödie [2] stehen mit ihren gereimten Versen nicht wenige der originalsten neuen Gesänge zur Seite, doch ohne, wie in der alten Poesie, nach bestimmten Systemen abgetheilt und dadurch in Strophen geschieden zu seyn. Derselbe Vers wird dann gemeiniglich durch das ganze Gedicht eingehalten. [3] Auch findet er sich um eine Sylbe kürzer, eben wie der Schluß der genannten anakreontischen Strophe, und so in gleicher Weise durch das ganze Lied angewendet. [4]

Φεγγαράκι μου λαμπρὸν
Φέγγε καὶ περπάτειγε,
Γιά νά σ’ ἐρωτήσομε
Διά δυό Γραικόπουλα κ. τ. λ.


Du mein lieber heller Mond,
Scheine nur und geh’ voran,
Daß ich bei dir fragen kann
Nach dem jungen Griechenpaar u. s. w.

oder umgekehrt, so daß der Rhythmus mit weiblichem Ausgange schließt, wie im Liede auf die Schwalbe S. 255.

 Wieder ist die Schwalbe da;
Von dem weißen Meere her
Kam sie, setzte sich und sprach:
März, mein März, so schön und klar,
Und du schlimmer Februar:
Magst du regnen, magst du schneyen,
Dennoch duftest du nach Mayen.

Doch mischen sich auch beide Gattungen, und der kürzere Vers schließt dann eine Abtheilung des Liedes, z. B. im Ständchen eines Pallikaren: [5]



An dem Thor von Salonikia
Saß ein Pallikare nieder
Mit dem aufgelockten Haare,
Trug die Leyer in den Händen,
Die mit Golde schön geschmückte,
Und beginnt sein Lied und sagt.

Mit zwei überzähligen Sylben hat ihn ein kurzes Lied bei Fauriel; [6]

Meine süße Taube, meine Traute
Sitzet an dem Wege hin und singet:
Fürchtet nicht die Knaben, nicht die Jungen,
Aber ihres Mannes böse Schwester u. s. w.

Diese trochäischen Verse verlängern sich bis zum überzähligen Dreimaße (trimeter hypercatalecticus in syllabam) mit dem Einschnitte nach der zweiten Dipodie, z. B.:

Lieber Manuel, lieber Junge, lieber schöner Freund,
Deine Frau, wie wohlgestaltet, und du freust dich nicht?
„Und du sahst sie, und du kennst sie, lieber Janitschar?“
Ja ich sah sie, ja ich fand sie und ich liebe sie.
„Wohl du sahst sie, wohl du kennst sie, wohl, wenn du sie liebst,
Sage dann, was sie getragen, und was auf dem Haupt?“
Weiß ist ihr Gewand gewesen, roth ihr Haupt geschmückt.
Und Manuly geht im Rausche, geht und tödtet sie;
Doch am Morgen ist er nüchtern, wacht und rufet sie:
Auf, o Herrin, meine Holde, auf und nimm dein Kleid,
Auf und bade dich und schmücke dich und geh zu Tanz,
Daß die Jünglinge dich sehen und vor Neid vergeh’n,
Daß ich Armer auch dich sehe, deiner mich erfreu'.

  1. Bei Fischer B. I. LXI. Er ist bei Heraklides Pontikus Alleg. Homer. p. 414. Col. erhalten worden.
  2. Aristoph. Friede V. 339. 571. 651 ff.
  3. z. B. bei Fauriel, 2. B. u. 23. 278. 284.
  4. Das. II. 71.
  5. Das. II. 148.
  6. II. 238.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_595.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)