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und erreichen selbst das volle Viermaß (trimeter acatalectius), bis zu welcher Länge sie bereits Anakreon ausgebildet hatte. Wie dieser in dem Verse bei Hephästion  Κλῦθί μευ γέροντος εὐέθειρα χρυρόπεπλε κοῦρε,
so der neue Dichter [1]:
 Ἁλικόν μου καρυοφύλλε καὶ χαλάζιον μου ζυμπίλι u.f.

Wie aber vom trochäischen, so sind auch vom jambischen Verse mehrere kürzere Formen aus der alten Poesie durch die neue fortgepflanzt worden: die vierfüßigen zu einem metrischen System vereinten Jamben in den Wolken des Aristophanes V. 1442. ff.:
Φειδ. Τί δ’, ἣν ἔχων τὸν ἥττω
 Δόγον σε νικήσω λέγων,
 Τὴν μητέρ’ ὡς τύπτειν χρεών;
Στρεψ. Τί δ’ἄλλο γ’ ἣν ταυτὶ ποιῆς,
 Οὐδέν σε κωλύσει σεαυ–
 τόν ἐμβαλεῖν ἐς τὸ βάραθρον
 Μετὰ Σωκράτους
 Καὶ τὸν λόγον τὸν ἥττω.

Pheid. Doch wie, wenn mit der Rede,
 Der schwächern, ich beweisen kann
 Daß du die Mutter schlagen mußt?
Streps. Was anders? wenn du dieses thust,
 Dann wird dir nichts im Wege steh’n
 Daß du dich in die Grube wirfst,
 Mit dem Sokrates
 Und sammt der schwächern Rede,

haben ihr ganz neues Gegenbild unter andern in den Ammenliedern bei Fauriel,[2] von denen das erste so lautet:

Ναννὰ ναννὰ τὸ υἱοῦδί μου
Καὶ τὸ παλληκαροῦδι μου
Κοιμήσω υἱοῦδὶ μ’ ἀκριβὸ,
Κ’ ἔχω νὰ σοῦ χαρίσω. κ. τ. λ.


Nanná, Nanná, mein Söhnelein,
Mein kleines liebes Jüngelein,
Schlaf nur, du wunderschönes Kind,
So werd’ ich dich beschenken:
Zum Zucker Alexandria,
Zu deinem Reis Misiri,
Dazu Konstantinopolis
Drei Jahre d’rin zu schalten,
Und noch dazu drei Dörfelein,
Und noch dazu drei Klösterlein,
Die Dörfer, daß du ihre Flur
Lustwandelnd magst betreten,
Und deine kleinen Klösterlein,
Da drinnen magst du beten.

Im Dreimaß ohne die Schlußsylbe (trimeter catalecticus in syllabam) ist das Lied von der schönen Sängerin.[3]

Am Ufer unten, drunten an dem Strome,
Wusch eine junge Frau des Gatten Kleider,
Und klagt’ im Lied lautsingend ihre Leiden,
Da schwebt’ ein milder Hauch daher am Ufer,
Der sanft den Saum von ihrem Kleid erhebet,
Daß frei ihr Fuß erschien bis um die Knöchel.
Es strahlt das Ufer, strahlt die ganze Weite.
Die Schiffe ziehn, es naht die Gallione,
Und All’ erfüllt mit Staunen ihre Schönheit.

Besonders eigen aber ist der neuen Poesie der längste Vers dieser Gattung, das Viermaß ohne die Schlußsylbe, oder der fünfzehnsylbige jambische Vers. Diesen hatte schon Hipponax, 500 J. vor Christo, ausgebildet, wie der Scholiast des Aristophanes [4] nachweist, welcher von ihm als Beispiel anführt:

Εἴ μοι γένοιτο παρθένος καλή τε καὶ τέρεινα
O wäre mir ein junges Weib, voll Wohlgestalt und Anmuth.

Wegen des Schwunghaften und Raschen in seiner Bewegung war ihm die attische Comödie vor vielen zugethan, und bei Aristophanes tritt er häufig ein, wo der Dialog sich hebt und eilt. Beim Volke selbst ward ihm so großer Beifall, daß ihn die spätern demotischen Dichter beinahe als stehende Form anwandten, und ihn an die neueren zu eben so häufigem Gebrauch überlieferten. Kein anderer findet sich öfter, zumal im erzählenden Gedichte, und schon Lord Byron bemerkt, daß er statt des Hexameters jetzt die Form des Heroischen geworden ist; doch gewährt er sich gleich dem Hexameter nicht weniger dem Heitern und Naiven, als dem Erhabenen und Ernsten, wie für jenes folgendes Beispiel, eines der einfachsten, zeigen mag [5]:

Κόρη, ὄντας φιλώμαστον νύχδ’ ἦτον ποῖος μᾶς ἐῖδε u. f.
Nacht war es, da wir uns gesehn: Wer hätt’ uns da belauschet?
Uns sah die Nacht, das Morgenroth, der Stern, der Schein des Mondes,
Und nieder senkte sich der Stern und saget es der Welle,
Die Welle sagt dem Ruder es, das Ruder es dem Schiffer,
Der Schiffer aber singt es laut am Thore der Geliebten.

Wenn aber sich dieser einfachen Rhythmen die neue Poesie, gleich der alten, mit feiner Wahl des einem jeden Gesange Zusagenden bedient, so sucht sie auch durch Brechnung der Reihen in der Mitte, und Verbindung verschiedener von derselben Art zu mehrgestaltigen Versen oder verschiedener Verse zu zweizeiligen Strophen, nach Art der archilochischen Epoden, sich zu lyrischer Mannigfaltigkeit zu erheben. So bestehen mehrere der kürzern Lieder [6] aus zwei unverbundenen oder gebrochenen jambischen Reihen:

Ich tret’ in einen Garten, seh’ einen Apfelbaum,
Mit Aepfeln schwer beladen, ein’ Maid in seinem Raum,
Der sag’ ich: steig hernieder, mir wohlgesinnt zu seyn,
Sie aber bricht sich Aepfel, wirft sie mir hinterdrein.

Die zweisylbige Strophe, so daß der kürzere Vers nachtritt, oder den wahren Epodos, zeigt das Lied an Dimos [7], dessen Name in jeder Strophe wiederkehrt:

Ja, Dimos, deiner Augen heller Schein,
 Die sanftgezognen Brauen,
Die brechen, Dimos, gänzlich meine Kraft,
 Und führen mich zum Tode.
Enthüll’, o Dimos, nur dein blankes Schwert,
 Stoß es in meinen Busen,

  1. Das. II. 167.
  2. II. V. 428 ff. Vgl. 280. 412.
  3. Das. 397.
  4. Zum Plutus v. 253. Vergl. Hephaestion de metris, p. 16.
  5. Fauriel II. S. 416.
  6. Das. II. S. 284. u. 39. 45. 46.
  7. Das. II. 154.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_596.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)