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Das Ausland. 1,2.1828

Es war ein schöner Tag für mich, als wir an die Stelle kamen, wo der blaue und der weiße Fluß sich als Nil vereinigen. Auf der Halbinsel, welche beide Flüsse bilden, liegt das Königreich Sennâr, dessen nördlichster Punkt, Râs el-Kartum, unter 15° 37’ 10" nördl. Br. und 30° 17’ 30" östl. L. liegt. Der weiße Fluß (Bahr el-Gazel), ist gegen seine Mündung höchstens 600 Fuß breit; seine Ufer sind der Ueberschwemmung ausgesetzt. Durch seine trübe milchige Farbe und seinen raschern Lauf unterscheidet sich der weiße Fluß, der auf Lehmboden fließt, von dem kritstallhellen und sanft über Felsengrund hingleitenden blauen Fluß (Bahr el-Azrak). Letzterer ist um ein Drittel schmäler. Nach der Versicherung meiner Führer würde sich aber der weiße Fluß gegen Süden noch bedeutend erweitern, und allein in Dâr Dinka, dem südwestlichen Grenzlande von Sennâr, neunzehn Flüsse und Bergwasser aufnehmen. Ich überzeugte mich in der Folge von der Wahrheit dieses Berichts. Beim Eintritt in Dinka fließt der Strom in einem sehr breiten Bett, und die Ufer sind zum Theil Sumpfland. Wie der blaue Fluß hat auch der weiße sein periodisches Steigen und Fallen, und Bruce, der das Gegentheil behauptet, ist im Irrthum. Eben so kann man jetzt mit Bestimmtheit annehmen, daß die Quellen, welche jener in Abyssinien sah und für die Quellen des Nils hielt, die des blauen Flusses sind. Der weiße Fluß ist der eigentliche Nil: einige Tagreisen oberhalb Dinka nimmt er eine starke Wendung gegen Westen; bei Fertit, vierzig Tagreisen südlich von Dârfur, findet man ihn wieder, so daß, wenn er der nordwestlichen Abdachung der Mondsgebirge (Dschebel el-Kamar) entströmt, er lange Zeit eine östliche Richtung verfolgt, bis er zuletzt nach Norden einlenkt, während der blaue Fluß, ein Sprößling der nordwestlichen Höhen von Habesch, zuerst nordöstlich, hierauf völlig südlich, und dann, als ein Schenkel des Dreiecks, das er mit dem weißen Flusse bildet, nördlich läuft.

Ich machte die Reise nach Sennâr auf dem blauen Fluß. Seit der Zeit der Pharaonen hatte hier vielleicht kein Segel geweht. Mich ergriff ein sonderbares Gefühl, als ich diese Bäume betrachtete, die ungebrochen von den Stürmen der Zeit, ungekrümmt von der Last der Jahre, ihre stolzen Häupter erhoben; diese dichten Wälder, deren ewiger Blätterschmuck noch nie einem Reisenden wohlthuenden Schutz gegen die Strahlen der glühenden Sonne verliehen hatte; diese undurchdringlichen Gebüsche, welche noch nie von eines Hirten Heerde gelichtet worden waren. Die wilde Natur allein lebt und schafft in der stets neu sich gebährenden Pflanzen- und Thierwelt; die Akazien, die Nevkas, die Heglygs, selbst die abgestorbenen Bäume, umarmt von den unentwirrbaren Lianen, bildeten nur Eine feste Masse. Das Schlagen der Ruder und das Rauschen der Fluthen, die unsre Barke durchschnitt, brachten Angst und Schrecken unter die Bewohner des Flusses. Die Krokodile, gewohnt ihre Eyer ungestört an die einsamen Ufer zu legen, flohen eiligst in’s Wasser; die Flußpferde stiegen aus der Tiefe auf, und schwammen schaarenweise und brüllend um uns her; Papageien, Perlhühner, der weiße und der schwarze Ibis[1] betäubten unser Ohr mit ihrem Geschrei; Affen belustigten uns mit ihren Fratzen und Luftsprüngen; Hyänen, Zebras, Dschiraffen, Elephanten, Löwen und Tiger zeigten sich zu beiden Seiten des Flusses, den sie besuchten, um zu baden, oder um zu trinken, und stäubten beim Knall einer Jagdflinte aus einander. Der Fluß führte Bambus, Ebenholz, Gaiac und andere kostbare Hölzer mit sich; ich sah unbekannte Schalthiere, Pflanzen, Insecten – wohin sollte der Beobachter seine Blicke wenden, wo die Natur überall so reich ist, überall so ein ganz neues und eigenthümliches Gepräge hat? Wir kamen an den Mündungen des Rahad und des Dender vorüber; beide Flüße trocknen in den heißen Monaten fast völlig aus; die Fahrt war, da der Südwind anhielt, nicht sonderlich schnell; heftige Stürme, von furchtbarem Donner und überströmenden Regengüssen begleitet, erregten ein Heimweh in uns nach dem schönen Himmel Egyptens. Endlich erreichten wir Sennâr. Der Pascha war bereits seit mehreren Tagen angekommen und hatte die Unterwerfung des Königs Baby empfangen.

Sennâr, (unter 14° 36’ 51" nördl. Br. und 31° 24’ 34" östl. L.) auf der westlichen Seite des blauen Flusses, mit 9000 Einwohnern und einem Umfange von einer 3/4 Lieue, ist in der Form eines Halbkreises gebaut. Den Mittelpunkt dieses Halbkreises beherrscht ein großes vierstöckiges Gebäude, schon halb verfallen und verlassen – die alte Residenz der Könige. Die Stadt liegt auf einer Erhöhung, die sie gegen die Ueberschwemmung sichert. Der Eindruck des Ganzen ist äußerst traurig. Eine Moschee ausgenommen sind die Häuser meistentheils elende runde Lehmhütten mit Strohdächern, die, wie sie auf einem, mit Trümmern älterer Baukunst überdeckten Boden stehen, selbst bald dieses Schicksal theilen werden.

Die Fungis, aus dem Sudan kommend, eroberten unter Amârah du Naqs im Jahr der Hegira 890 das Land und bauten die Stadt Sennâr. In einem Zeitraum von 335 Jahren regierten neu und zwanzig Könige. In der letzten Zeit hatten sich zwei Usurpatoren, Mohammed-Aʾdlân und Haßan-Regeb, der Obergewalt bemächtigt; sie beschloßen bei der gemeinschaftlichen Gefahr, womit sie Ismaël bedrohte, sich zu vereinigen: diese Gelegenheit benützte der treulose Hassan, um seinen Nebenbuhler aus dem Wege räumen zu lassen; die Verätherei kam aber nicht ihm, sondern dem rechtmäßigen Monarchen Baby zu gut, der, durch den Anhang Aʾdlâns verstärkt, das Uebergewicht erhielt. Hierauf entfloh Hassan, und Baby unterwarf sich dem Pascha, obgleich dessen Heer nicht mehr als 4000 Mann stark war – allerdings zur Eroberung eines Königreichs keine bedeutende Macht; aber Sennâr verdient auch kaum diesen Namen mehr; denn seitdem es unter den immerwährenden Thronrevolutionen, die es seit


  1. Man findet den letztern häufig einbalsamirt in den Gräbern von Theben, aber in ganz Egypten nirgend mehr lebend.
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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_601.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)