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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 145. 24 May 1828.

Egypten und Mehemed Aly.


Die Sphynx enthält folgendes, mit R. M. unterzeichnetes Schreiben an den brittischen Minister der auswärtigen Anglegenheiten, Grafen Dudley:

Der politische Zustand Egyptens und der Charakter seines Herrschers sind in England so wenig gekannt, daß ich mich aufgefordert fühle, aus meiner neuern und persönlichen Erfahrung ein richtigeres Bild jenes Gegenstandes mitzutheilen. In der Unwissenheit der brittischen Regierung und in den vorherrschenden falschen Ansichten über Egypten und seinen Herrscher muß man hauptsächlich den Grund des „unangenehmen und unvorgesehenen Ereignisses“ bei Navarin suchen. Die nachfolgende Ueberschiffung der griechischen Sklaven von Morea nach Alexandrien, und der entschiedene Vorzug, den in allen Handelsmaßregeln Egyptens Frankreich vor England erhält, beruht auf demselben Grunde.

Was die Schlacht bei Navarin betrifft, so war der erste Fehler das unbesonnene Vertrauen, das man auf das Wort des Pascha setzte, als er versicherte, die türkisch-egyptische Expedition, deren Großadmiral er war, sey nicht gegen Morea bestimmt. Admiral Codrington hatte Befehl, die Ankunft derselben in dem Peloponnes zu verhindern, zugleich aber war er instruirt, ganz darauf zu bauen, daß der Pascha nie durch Treubruch seine Ehre beflecken werde. Er befolgte diese Instruction und ward betrogen. Die Schlacht bei Navarin ward die natürliche Folge. Das nämliche Vertrauen setzte man in die Versprechungen des blutdürstigen Ibrahim, der sich verbindlich machte, keine Sklaven mehr aus Morea wegzuführen: er hatte kaum sein Wort gegeben, als er auf’s Neue zweitausend nach Egypten schickte, und so waren wir abermals betrogen. Während dieß geschah, hatte man die Griechen gezwungen, den Waffenstillstand zu halten, und zu dulden, daß ihre Weiber und Töchter aus ihren Hütten gerissen und in die Sklaverei geschleppt wurden. Unsere Servilität in den letzten Unterhandlungen endlich benahm dem Pascha alle sonst so heilsame Furcht vor uns; wir verloren seine Achtung, und die Folge war, daß er die französischen Handelsinteressen, die er bis jetzt blos privatim begünstigt hatte, nun ausschließlich beschützt.

Fast in ganz Europa wird der politische Charakter Mehemed Aly’s überschätzt: man betrachtet ihn als einen gebildeten Fürsten, mild in seiner Regierung, redlich in seinen Zusagen, aufgeklärt in seinen Ansichten, nach Unabhängigkeit strebend, und derselben würdig. Seine ganze Bildung besteht jedoch blos darin, daß er gegen Christen, die seinem Geize dienen, eine verstellte Höflichkeit beobachtet, und daß, wenn er sich herabläßt, Handelsverbindungen mit den Ungläubigen einzugehen, der Fanatismus augenblicklich der Gewinnsucht weichen muß. Kann man aber bei dem hinterlistigen Mörder der Mamelucken wirklich Treue und Glauben voraussetzen? Wenn er gegen unsere Gesandte freundlich lächelt, erinnert man sich da nicht, daß er mit derselben Miene seine Gäste empfing, während schon das Schwert gezückt war, das sie morden sollte? Setzt man Vertrauen auf seine Mäßigung, weil er mit scheinbarer Gleichgültigkeit die Vernichtung seiner Flotte vernimmt? weil er gelernt hat, seinen Grimm hinter freundlich geglätteter Stirne zu verbergen, und die Rache tief im Busen verschlossen zu halten? Hat man vergessen, daß der Türke nie einschmeichelnd ist, als wenn er über Verrath brütet?

Kann man ferner eine Regierung aufgeklärt nennen, welche an die Stelle der Raubzüge der Beys ein förmlich organisirtes Plünderungssystem setzte, das durch keine Noth erweicht, durch keine List umgangen werden kann? Mag der Ruf dieses „Bonaparte des Ostens“ in Europa noch so groß seyn, so ist doch nichts desto weniger gewiß, daß Egypten nie einen gierigeren Tyrannen besaß. Er weiß, daß Egypten nur für seine Lebenszeit ein Interesse für ihn hat, und daß kein Sohn bestimmt ist, es als Erbe des Vaters zu übernehmen, da Ibrahim dort bei aller Welt persönlich verhaßt ist. Daher schindet er den Landmann, und drückt den letzten Para aus dem Beutel des Gewerbtreibenden. Eine dünne Bevölkerung, ein öde liegender Boden, und eine Schatzkammer, durch den Krieg erschöpft und ohne Hülfsquellen von außen, – dieß sind die Folgen jenes Unterdrückungssystems. Verweigert der arabische Fellah, das Land zu bebauen, so wird er geprügelt; entspricht die Ernte nicht den Erwartungen des Türken, so wird er wieder geprügelt; nicht eine Unze wagt er von der Frucht der Arbeit seiner Hände zu verzehren; jedes Produkt läßt der Pascha nach rein willkürlicher Preisbestimmung taxiren, und bezahlt den Producenten mit einer Anweisung auf seinen eigenen Schatz; von diesem wird er an den Kaufmann verwiesen, der ihm seine Forderung halb in Geld halb in Waaren bezahlt, so daß man die auf diese Art erhaltene Leinwand von den armen Bauern oft um weniger als die Hälfte des Preises erkaufen kann, um den sie selbst sie annehmen müssen. Daher kommt

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: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_603.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)