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Das Ausland. 1,2.1828

Διὰ τ’εἶναι μαῦρα τὰ βουνὰ καὶ στέκουν βουρτωμένα,
Μὴν ἄνεμος τὰ πολεμᾷ, μήνα βροχὴ τὰ δέρνει;
Κοὐδ’ ἄνεμος τὰ πολεμᾷ, κοὐδὲ βροχὴ τὰ δέρνει,
Μόναι διάβαιν’ ὁ χάροντας μὲ τοὺς ἀπαιθαμμένους.


Warum sind die Gebirge schwarz und stehn in finstrer Trauer?
Ist es, weil sie der Sturm bekriegt, weil sie der Regen geißelt?
Nicht daß der Sturmwind sie bekriegt, daß sie der Regen geißelt,
Doch Charon reitet über sie einher mit den Gestorb’nen.
Die Jungen treibt er vor sich hin, zieht hinter sich die Alten,
Und führt die zarten Kindlein gereiht an seinem Sattel.
Wohl rufen ihm die Alten nach, wohl flehn zu ihm die Jungen:
Mein Charon halt am Dorfe still, halt an dem kühlen Brunnen,
Damit die Greise trinken gehn, die Jungen Steine werfen,
Und daß die kleinen Kindelein sich Wiesenblumen sammeln.
„Nicht an dem Dorfe halt’ ich an, nicht an dem kühlen Brunnen.
Die Mütter kommen zu dem Quell, erkennen ihre Kinder,
Erkennen ihre Männer auch, und wissen nicht zu scheiden.

Mit dieser Vorstellung hängt der Glaube zusammen, daß der Geist des Verstorbenen noch um sein Grab waltet, und, in ihm wohnend, den Wiederhall des Lebens vernimmt, und den Wiederschein seiner süßen Anmuth empfindet. Auch dieser Glaube hat sich aus dem Alterthum erhalten. Aus ihm entsprang bei den Alten die Ehrfurcht vor den Gräbern, der den Manen gewidmete Dienst und die Evocation der Heroen, wenn es galt ihr Gebeine in ein anderes Grab zu bringen. Wenn daher in einem unsrer Lieder[1] ein Jüngling über eine Gräberflur gehend einem Hügel auf das Haupt tritt, hört er Ruf und Donner aus der Unterwelt und die Klage des Geistes, den er beunruhigt. In einem der schönsten Gesänge, auf den Tod eines jungen Matrosen, begehrt dieser ein Grab am Ufer, wo er die Ankunft seiner Genossen hören kann: [2]

Nicht in die Kirche traget mich, begrabt mich nicht im Kloster,
An freier Küste sey mein Grab, es sey im Ufersande,
Es kommen dort die Schiffer an, und ich hör’ ihr Getümmel.

Und Dimos trägt sterbend seinen Pallikaren auf, daß sie das Grab ihm oben breit machen, damit er darüber noch aufrecht stehen und kämpfen könne, und mit Oeffnungen an der Seite:

Damit die Schwalben kommen, und den Frühling wiederbringen,
Und daß die Nachtigallen mir den süßen Mai verkünden.

Faßt man die einzelnen Seiten dieser Ansicht, das Bestreben, menschliches Gefühl und Urtheil in die Welt der Thiere, wie in die Gegenstände der Natur zu legen, den Schutz der Gegenden und die Besorgnisse des Lebens auf Wesen von bestimmter Persönlichkeit und Gesinnung zu übertragen, in Einen Ueberblick zusammen, so wird man auch hier glauben, auf dem Boden des Alterthums zu wandeln: doch wär’ es übereilt, überall an einen unmittelbaren Zusammenhang der neuen und alten Vorstellungen in diesem Kreis zu denken. Zwar ist dieser bei Manchem, wie beim Genius des Orts, beim Charon als Thanatos, nicht zu verkennen; indeß von andern dieser Vorstellungen, besonders denen, die sich auf Belebung der Natur beziehen, liegt der Grund offenbar tiefer, und muß in demselben innigen und frischen Gefühl für die überschwängliche Herrlichkeit jenes Himmels und jener Erde gesucht werden, das schon im Alterthum die Erscheinungen im ganzen Gebiet der Schöpfung mit menschlichen Wesen umgab, um sie als Abbilder des Göttlichen, ja als Gottheit selber zu verehren. Nachdem durch das Christenthum die heidnische Form gebrochen war, in deren Mythen und Symbolen es sich verkörpert hatte, sprang der Quell dieses Gefühls wieder frisch und in ursprünglicher Reinheit aus der menschlichen Brust hervor. Noch fortdauernd breitet es sich, vermenschlichend und belebend, über die Schöpfung aus, und sein erquickender Hauch weht in dem Haine des neuentsproßten Gesangs.

(Schluß folgt.)


Türkische Rechtspflege.

In dem Negaristan (der Bildergalerie, einer Sammlung historischer Charakterzüge etc.) wird von einem berühmten Rechtsgelehrten zu Bagdad, Abu Joseph, folgende Anecdote erzählt, die zugleich einige merkwürdige Eigenheiten der mahommedanischen Gesetzgebung characterisirt und ein Beispiel von der casuistischen Spitzfindigkeit darbietet, welche die Advocaten des Orients noch jetzt oft zu Gunsten ihrer Clienten entwickeln. – Der Kaliph Harum Alraschid hatte sich in eine Sclavin verliebt, die seinem Bruder Ibrahim gehörte; er erbot sich, sie um jeden Preis zu kaufen; aber Ibrahim, obgleich geneigt, seinem Souverän sich gefällig zu zeigen, hatte geschworen, daß er sie weder verschenken noch verkaufen wolle. Da alle Parteien diese Schwierigkeit zu entfernen wünschten, so wurde Abu Joseph um Rath gefragt, der Ibrahim den Ausweg angab, seinem Bruder die eine Hälfte der Sclavin zu schenken, und die andere zu verkaufen. Glücklich, dieses Hindernisses überhoben zu seyn, befahl der Kaliph 30,000 Dinars für die Hälfte der Sclavin zu zahlen, und Ibrahim machte mit dieser Summe zum Zeichen seiner Dankbarkeit dem Rechtsgelehrten ein Geschenk. Aber eine andere Schwierigkeit bot sich jetzt dar. Das Gesetz der Moslim verbietet jede Gemeinschaft mit dem Weib oder der Beischläferin des Bruders, bevor sie an einen Dritten verheirathet gewesen, und von diesem verstoßen worden ist. Abu Joseph rieth dem Kaliphen, sie an einen seiner Sclaven zu verheirathen, der für eine angemessene Entschädigung sich gern dazu verstehen würde, sie auf der Stelle zu verstoßen. Die Ceremonie wurde vollzogen, aber der Sclave, der sich in seine schöne Gemahlin verliebte, konnte nicht vermocht werden, in eine Trennung von ihr zu willigen. Dieß war ein unerwartetes Dilemma; denn so despotisch auch der Kalif war, wagte er es doch nicht, ihn zu zwingen. Aber Abu Joseph entdeckte bald eine neue Auskunft: er rieth dem Kaliphen, der Sclavin ein Geschenk mit ihrem Manne zu machen, was in der That die Ehe aufhob, da nach mahommedanischen Gesetz kein Frauenzimmer das Weib ihres eigenen Sclaven seyn darf. Entzückt, daß der gordische Knoten so sinnreich gelöst war, ließ der Kaliph dem Advokaten 10,000 Dinare auszahlen, und die schöne Sclavin, die von ihrem fürstlichen Geliebten unermeßliche Geschenke erhielt, fügte jener Summe eine ähnliche hinzu; so daß Abu Joseph durch seinen Scharfsinn in wenigen Stunden 50,000 Dinare (doppel so viel gr. Thaler) gewonnen hatte.

Asiatic Journal.

  1. Das. II. S. 402.
  2. Das. II. S. 106.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 580. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_606.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)