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Das Ausland. 1,2.1828

Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 152. 31 May 1828.

Fortschritte der Freiheit und Civilisation in Italien.



Nicht allein im Auslande, sondern eben so häufig in Italien selbst äußert sich die Ansicht, daß die französische Revolution mit allen den Erschütterungen und Bewegungen in ihrem Gefolge über

– das schöne Land,

welches der Apennin durchzieht, das Meer umgrenzt und die Alpen – spurlos hinweg gegangen und mit den alten Namen überall auch die alte Lage der Dinge zurückgekehrt sey. Die Aussicht, welche die Zukunft Italiens darböte, würde, wenn diese Ansicht nicht unbegründet wäre, noch trauriger seyn, als die Geschichte der Vergangenheit; denn die Erfahrung lehrt, daß, so oft von großen politischen Ereignissen keine Früchte gezogen wurden, alle bürgerlichen Tugenden allmälig immer tiefer in Verfall geriethen und auf eine Periode des wildesten Kampfes bald ein Zeitraum der Erschlaffung und Entartung folgte. Das Ziel aller menschlichen Handlungen ist das Glück; sobald die Hoffnung auf dieses uns verläßt, bleibt nichts anderes übrig, als in der Erstarrung der Resignation oder im Taumel des Sinnenrausches Befriedigung, Betäubung zu suchen.

Wir müssen jedoch gestehen, wir sind immer der Meinung gewesen, daß zu solchen Besorgnissen für jetzt noch kein Grund vorhanden sey; und es war uns daher doppelt angenehm, in einem italienischen Journale, welches, wenn nicht durch ausgezeichnetes Talent, doch immer durch freisinnigen Geist eine ehrenvolle Stelle behauptet hat, dieselbe Ueberzeugung ausgesprochen zu finden. Gern wollen wir zugeben, sagt bei Gelegenheit der Anzeige eines kürzlich erschienenen Geschichtswerkes [1] die Antologia di Firenze, [2] gern wollen wir zugeben, daß die Ereignisse der neuesten Zeit uns zu gerechtem Kummer auffordern. Die Grundsätze der Freiheit – die Theorien der Minderzahl über die Meinung der Menge – sind von denselben Menschen, die gewohnt waren, sich öffentlich zu denselben zu bekennen, verlacht und mit Füßen getreten worden; nur wenige Namen sind fleckenlos aus dem schnellen, vielfach wechselnden Umschwung der Revolution hervorgegangen; und fast allgemein hat man die politischen Theorien nicht als Regeln für die Ausübung der Gewalt, sondern als Werkzeuge, um die Masse zu unbedachten Thaten hinzureissen, oder in unthätiger Gleichgültigkeit gegen die Unterdrückung zu erhalten, gebraucht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Bemerkungen eine Erfahrung einschließen, welche für die Völker nicht verloren gegangen ist. Das Geheimniß der Beweggründe, welche die öffentlichen Handlungen bestimmen, ist öffentlich geworden, und Jedermann hat gelernt, fremde wie eigene Interessen richtig zu schätzen. Auf diese Weise muß jede politische Heuchelei sogleich entdeckt und der Fanatismus paralysirt werden, der den Ehrgeizigen und Gewalthabern nützlich, aber selten der bleibenden Sache der Civilisation förderlich ist. Alle diese Bemerkungen haben mehr oder weniger Eingang beim Volke gefunden; und mit Recht kann man daher behaupten, daß der gemeine Menschenverstand, die Bildung der öffentlichen Meinung, in unserer Zeit noch viel bedeutendere Fortschritte gemacht habe, als selbst die Wissenschaften. Und wenn wir unsere Ansicht unverholen aussprechen sollen, so scheint es uns, daß gerade die Fortschritte des practischen Verstandes beim Volke es sind, wornach die Entwickelung der Civilisation beurtheilt werden muß.

Unter der Zahl der Vorurtheile, welche nicht wenig von ihrem Credit verloren haben, verdient einer besonderen Erwähnung jener verderbliche Geist der Landsmannschaft (spirito del municipio), der sich in Italien mehr durch den Haß der Nachbarn, als durch wahre Liebe zu dem Heimathsorte kund gab. Nicht selten ist es mehr, daß auf die Stimmen der Vaterlandsliebe und Eintracht von den Alpen bis in das äußerste Calabrien ein Echo antwortet. Und wenn aus Einfalt oder Bosheit Einige noch Grund zum Streit suchen, so werden sie von den Vernünftigen übersehen oder verachtet. Anders ging es im J. 1797, als die ganze Autorität Bonaparte’s nöthig war, um die Provinzen mit einander zu vereinigen, welche die cisalpinische Republik ausmachten.

Aber, könnte Jemand uns einwenden, alles was wir bisher gesehen haben, sind nur Hindernisse, die beseitigt, Vorurtheile, die geschwächt oder aufgehoben worden sind; was kann man dagegen anführen, das gebaut worden wäre? Hierauf würden wir antworten müssen, daß die Entfernung der Hindernisse der schwierigste Theil bei der Einführung des Guten ist; aber wir dürfen uns damit nicht begnügen.

  1. Annali d’Italia dal 1750 al 1819 compilati da A. Coppi, Tomo 4to. (ed ultimo.) Roma, 1827. 8. (Eine etwas trockene Fortsetzung des Muratori,)
  2. Marzo, pag. 60-75.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 605. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_631.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)