Seite:Das Ausland (1828) 645.jpg

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sie würde das trockene, unfruchtbare Land mit frischem Grün bekleiden und Verbindungswege durch die Wüsten eröffnen; aber was sie nicht vermag und wodurch allein alles andere möglich werden kann, ist, aus einer Menge isolirter Individuen, die nicht den geringsten Landbesitz haben, eine vereinte und nach einem gemeinschaftlichen Ziele strebende Bevölkerung zu machen, – die Gemeinden aus dem Zustande der Unterdrückung empor zu heben, in den sie gestürzt worden sind.

Der Mensch, der isolirt und als bloßes Individuum handelt, ist äußerst schwach; nicht nur unfähig irgend etwas Großes zu unternehmen, sondern sogar außer Stand, sich die ersten Bedürfnisse des Lebens zu verschaffen. Nur durch Vereinigung der Interessen und Bemühungen vieler Individuen ist es möglich, die Hindernisse zu überwinden, welche die Natur unserer Erhaltung entgegensetzt. Aber seit mehr als einem Vierteljahrhunderte sind alle die natürlichen Verbindungen, welche der Lauf der Wasser, oder die Beschaffenheit und Lage des Bodens in Frankreich gebildet hatte, aufgelöst worden, und es steht nicht in unserer Macht, sie wieder herzustellen. Man findet eine Menge von Individuen neben einander, denen es aber sämmtlich verwehrt ist, sich gegenseitig zu verständigen, mit einander zu berathen, oder zu einer gemeinschaftlichen Unternehmung zu vereinigen.

Es war eine Zeit, wo jede durch die Natur gebildete Gesellschaft oder Verbindung von Individuen in einem gemeinschaftlichen Interesse handelte, indem sie Agenten ernannte, an deren Wahl jeder mehr oder weniger Antheil hatte. Diese Verbindungen hatten Besitzungen, die sie in dem Interesse Aller, welche den Verein ausmachten, verwalten ließen. Man bezeichnete sie unter dem Namen der Communen, Provinzen, Departemens. Als Bonaparte zur Macht kam, war einer seiner ersten Schritte, alle diese Verbindungen aufzuheben und sie in isolirte Individuen aufzulösen. Um diesen Gewaltstreich weniger offenbar zu machen, ließ er ihnen den Namen, welchen sie trugen; aber er verbot den Individuen, die sie ausgemacht hatten, jede Verbindung, ja jede Art von Vereinigung. Mitten unter diese Haufen vereinzelter Individuen stellte er eine Menge von Beamten seiner Wahl, welche den besondern Auftrag hatten, zu verhüten, daß die aufgelösten Verbindungen sich wieder herstellten; sie waren im eigentlichsten Sinne des Wortes Hüter und Bewahrer der gesellschaftlichen Auflösung. Diesen Hütern gab er die Namen derer, welche früher von den Gesellschaften gewählt worden waren, um ihr Vermögen zu verwalten, oder ihre Interessen zu vertheidigen. Die Rolle, welche die kaiserlichen Beamten unter dem Namen der Maires, Adjoints, Präfecten und Conseillers einnahmen, war dieselbe, als wenn die Soldaten, durch welche Bonaparte die Nationalrepräsentation zerstreute, sich des Postens, Kleides und Namens der von ihnen verjagten Repräsentanten bemächtigt hätten und in ihrem Versammlungssaale geblieben wären, um den Willen ihres Herrn zu vollziehen, und zu verhindern, daß das Volk neue Repräsentanten schicke.

Diese gesellschaftliche Auflösung beraubte zwar die Individuen nicht des Vermögens, welches sie als solche besaßen; aber das Eigenthum der Verbindungen, welche sie gebildet hatten, ging bei der Auflösung derselben in die Hände der Usurpatoren über. Wenn das Eigenthum einer Sache darin besteht, daß man die gesetzliche Fähigkeit besitzt, dieselbe zu benutzen und darüber zu verfügen, so ist es klar, daß die Haufen oder Abtheilungen vereinzelter Individuen, die man ohne Grund unter dem Namen der Gemeinden (Communen) bezeichnete, keinen gemeinschaftlichen Besitz mehr hatten, als den ihrer Aufseher. Sie hatten nichts mehr zu benutzen, so wenig unmittelbar als durch ihre Agenten, sie konnten über nichts disponiren, sich über nichts Rechenschaft ablegen. Und wenn die Beamten, die den Auftrag hatten, sie in ihrem Zustande der Auflösung zu erhalten, die einzelnen Mitglieder der früheren Verbindung von einem Theile des alten Communaleigenthumes einigen Genuß ziehen ließen, so war dieß eine Gefälligkeit, oder Großmuth, die Niemand das Recht hatte, gesetzlich zu fordern. In einem solchen Zustande der Dinge war es das Interesse eines Jeden, sein individuelles Vermögen, über welches er noch disponiren konnte, möglichst zu vergrößern, und besonders in dasselbe so viel von dem ehemaligen Communaleigenthum hineinzuziehen, als er nur immer konnte; aber Niemand hatte ein Interesse dabei, die Besitzungen zu vermehren, die in die Hände der Agenten der Gewalt gefallen waren.

Die Restauration hat von allem, was sie in dieser Beziehung als bestehend vorfand, nichts geändert. Die Communen und die Provinzen sind aufgelöst geblieben, wie sie es unter der kaiserlichen Regierung waren; d. h. es besteht nicht das geringste gemeinschaftliche Band unter den Einwohnern eines Dorfes, eines Fleckens oder einer Stadt. In ihrer Mitte sehen wir noch immer ein kleine Anzahl Menschen, deren amtliches Geschäft hauptsächlich darin besteht, sie zu bewachen, und zu verhindern, daß sie sich über ihre gemeinschaftlichen Interessen verständigen. Die Bewohner eines Dorfes oder einer Stadt, denen es einfiele eine Gemeinschaft zu bilden und einen aus ihrer Mitte mit der Besorgung ihrer Interessen zu beauftragen, würden sogleich durch die Hüter der Communalauflösung als Empörer oder Hochverräther angeklagt und verfolgt werden. Dasselbe, was von den Bewohnern eines Dorfes oder einer Stadt gilt, kann mit noch größerem Rechte von den Bewohnern eines Departements oder einer Provinz gesagt werden. Die einen wie die andern sind aller gemeinschaftlichen Bande und Interessen beraubt; sie sind außer Stande, etwas zu ihrem gemeinschaftlichen Vortheil zu unternehmen.

Eine solche Lage der Dinge übt in allen Theilen von Frankreich den ausgedehntesten Einfluß; doch begreift man leicht, daß derselbe größer oder geringer seyn muß, je nachdem die Hindernisse, welche die Natur den Menschen entgegengesetzt, leichter oder schwerer zu überwinden sind. Die Bevölkerung eines ebenen Bodens, der vor Ueberschwemmungen, Stürmen und den Wogen des Meeres geschützt ist, kann lange Zeit sich ohne eine Vereinigung

Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 619. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_645.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)