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Das Ausland.
Ein Tagblatt
für Kunde des geistigen und sittlichen Lebens der Völker,
mit besonderer Rücksicht auf verwandte Erscheinungen in Deutschland.

Num. 156. 4 Juny 1828.

Griechenland und die englische Politik.

Schreiben an den brittischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen Dudley[1]

Das Volk der europäischen, asiatischen und africanischen Türkei kennen zu lernen, ist gewiß von Interesse. Obgleich Ew. Gnaden auf Reisen waren, so halte ich doch dafür, daß Sie sehr unvollkommen von den Verhältnissen des Orients unterrichtet sind: in Italien wenigstens schien die einzige Beschäftigung Ihrer Muße, Gemälde zu kaufen und Denkmäler auszumessen, nicht das Studium der Menschen und ihrer Sitten. Wenn ich auch nur einen flüchtigen Blick auf die vermischten Stämme der Levante werfen kann, so habe ich doch das Vertrauen, daß meine Nachrichten dazu dienen können, viele irrige Meinungen in Bezug auf die Handlungsweise der Türken und Griechen zu entfernen.

Es ist die Ansicht mancher paradoxen Reisenden, die Türken wären die größten Schurken von der Welt, mit Ausnahme der Griechen, die noch größere wären. Das Wahre an der Sache ist: überall drängt sich einem im Osten die Bemerkung auf, daß bei allem Unterschied des Clima’s und der Sitten, des Charakters und Glaubens, der Mensch doch allenthalben derselbe ist. Ueberall haßt der Christ den Juden, der Jude verwünscht den Türken, der Türke verachtet den Griechen, der Grieche verdammt den Kopten, der Kopte verflucht den Armenier – der Missionär bedauert Alle, und der Himmel hat Geduld mit Allen. Alle sind unerschütterlich in ihrem Glauben und unbeugsam in ihrem Hasse gegen ihre Nebenmenschen. Die Bigotterie ist dem Wesen nach bei Allen dieselbe und modifizirt sich blos nach der Eigenthümlichkeit der bürgerlichen Einrichtungen. Der Unterschied zwischen einem Turban und einem Hut, einem Kaftan und einem Ueberrock macht eine geringe Unähnlichkeit in ihren häuslichen Tugenden, und der Unterschied zwischen Fasten und dem Ramazan macht eine eben so geringe Verschiedenheit in ihren Lastern.

Der Türke übt die Unterdrückung aus, wozu es dem Rayah blos an Macht gebricht; und Falschheit und Arglist, obgleich Charakterzüge der Griechen, sind dem letzteren nicht eigenthümlicher, als sie es dem Britten seyn würden, wenn er drei Jahrhunderte unter dem Joche der Knechtschaft wäre.

Wucher und Schurkerei knüpfen sich an die Idee eines Juden; aber die einzige Ursache, warum sie so fest an ihren Handelskniffen hängen, ist die Bigotterie ihrer Mitmenschen, welche sie überall aus der Bahn der Ehre gewiesen und sie gezwungen hat, einer entehrenden Habsucht zu folgen, um leben zu können. Es braucht nach dem Sprichworte des Landes einen Kopten, zwei Griechen und drei Juden, um einen Armenier zu betrügen. Er ist listig wie die Schlange; aber seine Schlauheit ist blos die überfeinerte Klugheit eines Sclaven, der Erpressung durch List, Gewaltthätigkeit durch Trug überwindet.

Die Raubsucht des Arabers ist der Raubsucht der Regierung beizumessen, die ihm die Wüste als Zuflucht anwies. Sein Nachbar hat nichts von seiner Unredlichkeit zu fürchten; nur der Fremde, der in sein ödes Gebiet eindringt, hat vor seiner Gewaltthätigkeit zu zittern. Die Wildniß ist sein Erbut; gleich seinem Vater Ismaël ist er ein wilder Mann. Seine Hand ist erhoben gegen die Welt, weil das Gesetz der Welt sein Feind war.

Die Anmaßung des Türken, seine Treulosigkeit und Grausamkeit sind die Frucht seiner neueren Größe – der Trunkenheit in seinem Glücke, dem man ohne Maß und Ziel huldigte. Bevor ihn seine europäischen Eroberungen in Europa als Herrscher groß machten und als Mensch verschlechterten, war er tapfer im Felde, treu seinen Freunden und edelmüthig gegen seine Stammgenossen. Damals war es noch nicht bei ihm Sitte, lächelnd den Giftbecher anzubieten und zu erdolchen mit dem Schwur der Freundschaft auf den Lippen. Jetzt aber gilt Treulosigkeit für eine Tugend, und selbst der Sultan erröthete nicht, seinen Unterthanen vom Throne herab zu sagen, daß er ein Lügner und Betrüger in den Unterhandlungen mit den Ungläubigen gewesen sey.

Wenn der Grieche niederträchtiger und treuloser als jeder andere Rayah ist, so liegt die Ursache in seinem bürgerlichen Verhältnisse, welches das verworfenste von allen ist. Seine Entartung ist die Schuld seiner Knechtschaft, und es ist eine eitle Hoffnung, wenn man erwartet, den Menschen frei zu sehen, bevor der Sclave entjocht ist.

Vor allen haben Reisende und Leute, die sich Philhellenen nannten, die Ansichten verwirrt und die Urtheile mißleitet: sie wurden von dem Volke geplündert – deßhalb sind die Griechen der Freiheit nicht würdig; sie haben es

  1. Aus the Sphynx, von demselben Verfasser, von dem wir in Num. 145 die Darstellung Egyptens mittheilten.
Empfohlene Zitierweise:
: Das Ausland. 1,2.1828. Cotta, München 1828, Seite 621. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_647.jpg&oldid=- (Version vom 2.10.2023)