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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

konnte, reichlich versehen, reiste er nach Indien. Angelangt in der indischen Hauptstadt gab er sich als einen Mann zu erkennen, der dahin gekommen sey, um sich bei den dortigen Weisen über wichtige Gegenstände des Wissens Raths zu erholen. In der heiligen Gesellschaft, unter die er sich begab, suchte er sich bald einen Braminen aus, der ihm das wahre Muster der Weisheit zu seyn schien. Er bemühte sich daher um seine Freundschaft, was ihm so gut gelang, daß er beschloß, ihm seine wirkliche Absicht zu eröffnen. „Ich habe Euch ein Geheimniß anzuvertrauen,“ sagte er eines Tages zu seinem Freund, „und Ihr wißt, ein Zeichen ist einem weisen Manne genug.“ „Ich weiß, was Ihr meint,“ erwiederte der scharfsinnige Bramine, „auch ohne Euer Zeichen; Ihr seyd gekommen, unsre Wissenschaft zu entwenden und Persien damit zu bereichern. Euer Vorhaben ist Betrug; aber Ihr habt Euch mit solch vollendeter Geschicklichkeit benommen, die mir eine hohe Meinung von Euch gegeben hat. Ich habe an Euch die acht Eigenschaften bemerkt, deren Verein den vollkommenen Mann bildet: Enthaltsamkeit, Selbstkenntniß, Pflichttreue, Klugheit in der Wahl des Vertrauten, Verschwiegenheit, Selbstbeherrschung, die Kunst, sich bei Hof in Achtung zu setzen, und ein bescheidenes An-sich-halten, wenn man in allgemeiner Gesellschaft spricht oder in die Angelegenheiten Andrer sich einmischt. Ob nun gleich Eure Bewerbung um meine Freundschaft nicht aus lauterer und uneigennütziger Absicht entsprang, so schätze ich Euch doch zu hoch, als daß ich Bedenken tragen sollte, für Euch etwas zu wagen.“ Der Bramine wußte sich das ferngesuchte Buch zu verschaffen und mit seiner Hülfe war bald eine Abschrift zu Stande gebracht. Nuschirwan, von dem glücklichen Erfolg seines literarischen Abgesandten benachrichtigt, erwartete mit Ungeduld seine Rückkehr; und als jener an der Grenze ankam, empfingen ihn die Angesehensten des Hofes und geleiteten ihn zu dem Monarchen. Die Aufnahme bei Nuschirwan war glänzend; er ließ eine große Versammlung halten, wobei sich alle Würdeträger und alle Gelehrten des Königreichs einfanden. Barzuyeh las aus dem Buch, das er mitgebracht hatte, vor; die Bewunderung war allgemein. „Oeffnet meine Schatzkammer,“ rief der dankbare König aus, „und der Mann, der dieses Gut unserm Lande erworben hat, nehme sich das Kostbarste, das er darin findet.“ „Ich verlange weder Juwelen noch edle Metalle; nicht dafür, sondern für die Gunst meines Fürsten habe ich gearbeitet. Aber ich habe eine Bitte: der König hat seinen Minister Buzurdschimihr beauftragt, das Werk in das Pehlwi zu übersetzen: nun befehle er ihm, daß meines Namens, so wie meiner Familie, meines Gewerbs und meiner Religion darin gedacht werde.“ „Ihr seyd Zeugen,“ wandte sich Nuschirwan an die Versammlung, „Zeugen der edlen Uneigennützigkeit dieses Manns; ihr wißt, wie schön er sich seiner Pflicht entledigte, mit welchen Schwierigkeiten und Gefahren er in meinem Dienste zu kämpfen hatte. Ich wollte ihn mit Reichthümern belohnen; aber diese haben in seinen Augen keinen Werth, da die Liebe zum Ruhm in seinem Herzen ist. So möge er eine Stelle haben im Anfang des Buchs der Weisheit, welches Persien aus seiner Hand empfangen hat.“

Dieß ist das Wesentlichste der Geschichte, wie sie in Abul-Fazl’s, unter dem Namen Eiyar-i-Danisch, d. i. Prüfstein der Weisheit, erschienener persischer Uebersetzung zu lesen ist. Dasselbe Werk theilt die religiösen Ansichten des philosophischen Barzuyeh mit.

„Gott und die Zukunft – Fragen endlosen Streites. Jeder hält seine Meinungen für allein wahr, und wenn er am Abende seines Lebens Rechnung hält mit seinen Arbeiten, so ist es seine Secte, für deren Emporkommen, so sind es andere Secten, für deren Erniedrigung er gearbeitet hat. So manche sind bloße Selbstanbeter ohne eine Spur von wirklicher Religion, ohne innere Kenntniß von Gott! Wie bedauern muß ich meine verlorne Zeit, als ich mich diesen eiteln Dingen überließ, jeden Pfad durchforschend, ohne den rechten Weg finden oder auch nur einen Führer entdecken zu können. Ich fragte die Weisen und die Lehrer aller Religionen nach dem Ursprunge ihres Glaubens; aber ihr ganzes Dichten und Trachten ging nur dahin, ihre Vorurtheile aufzubauen, und die der Andern umzustürzen. Zuletzt, als ich nirgens Heilung der Krankheit meines Herzens, nirgends Balsam für die Wunden meiner Seele fand, kam ich auf den Schluß, daß die Grundlage aller dieser Secten Selbstbetrug sey. Ich hatte nicht gehört, daß ein wahrhaft weiser Mann ihnen Beifall geschenkt hätte, und ich fürchtete, wenn ich ihnen glaubte, eben so thöricht zu seyn, wie der arme Dieb, der sich durch ein einfältiges Wort selbst ins Verderben stürzte.

„Einige Diebe waren auf den Giebel des Hauses eines reichen Mannes gestiegen; dieser hörte Tritte, vermuthete einen Einbruch und weckte seine Frau. Ich werde thun als ob ich schlafe, flüsterte er ihr in’s Ohr, du weckst mich und fangst mit mir eine laute Unterhaltung an, und läßt nicht nach, bis ich dir sage, wie ich meinen Reichthum erworben habe. Die Frau that, wie ihr befohlen war. Verschone mich mit diesen Fragen, entgegnete der Mann; es könnte uns ja jemand hören. Auf die abschlägige Antwort ward die Frau inständiger. Wenn ich deinen Wunsch erfülle, so verfehle ich mich gegen die Regel, keinem Weib ein Geheimniß anzuvertrauen. Wie soll ich das nehmen? sagte die Dame aufgebracht. Bin ich nicht das geliebte Weib deines Busens? Wohl, wohl, erwiederte jener, sey nur um Gotteswillen zufrieden; vor meiner treuen und vertrauten Freundin habe ich keine Heimlichkeit; aber ich bitte dich, laß es niemand erfahren, was du jetzt hören wirst. Sie macht tausend Versicherungen, daß kein Wort über ihre Lippen kommen solle. So wisse denn, liebes Weib, daß all mein Reichtum Raub ist. Ich besitze einen Zauber, daß, wenn ich des Nachts beim Mondschein an dem Haus eines reichen Mannes stehend das Wort Scholim, Scholim, Scholim siebenmal wiederhole und dabei meine Hand auf einen Mondstrahl lege, ich mich auf den Altan schwinge; das zweite Rufen des Wortes Scholim, Scholim, Scholim bringt mich mit einen leichten Sprung in’s

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_669.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)