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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Tractats vom 6 Juli fest zu halten. Er starb, und die anden Cabinete, die nicht zum Kampf vorbereitet waren, ließen sich von Rußland in ein falsches System verwickeln. Wahrlich, einer der stärksten Vorwürfe, welchen man ihnen machen kann, ein Vorwurf aber, der um so gegründeter ist, als er allein die Möglichkeit erklärt, wie mehrere Ereignisse eine gewisse Wendung nehmen konnten. Wem diese Ansicht befremdend erscheint, den frage ich, ob die Parteilichkeit der Schriftsteller zu Gunsten der Moskowiten weniger befremdend sey? Denn die Zeit ist vorbei, wo Philosophen und Höflinge zu sagen pflegten, daß die Sonne im Norden aufgehe und vom Throne der Catharina herab die Welt erleuchte.

Wenn Frankreich zwischen zwei großen Mächten zu wählen hätte, sollte es Rußland oder England den Vorzug geben? Welche Vortheile, welche Gefahren böte in einem von beiden Fällen die Allianz dar? Fragen wir die Geschichte, so sagt sie uns, daß wir nicht Ursache haben, einem dieser Cabinete mehr zu trauen als dem andern. Die Engländer waren immer unsere Nebenbuhler, fast sogar immer unsre Feinde. Als Seemacht werden sie nie einwilligen, daß Frankreich die Mündungen der Schelde, zum Wenigsten die Inseln, die davor liegen oder die andern Häfen, die Englands Ostküsten bedrohen, in Besitz nimmt. Es ist indessen wahrscheinlich, daß man sich über sonstige Interessen mit ihnen leicht verständigen würde. Rußland hingegen war nie ein zuverlässiger Alliirter irgend einer Macht. Zu Frankreich steht es in zu entfernter Beziehung, als daß beide einander als Freund oder als Feind unmittelbar nützen oder schaden könnten. Die Czare werden höchstens in Ermanglung anderer Continentalmächte unsere Allianz suchen.

Ich muß es wiederholen: Frankreich verdankt die Erhaltung dessen, was ihm übrig bleb, blos dem Muthe seiner Söhne, der Achtung, welche unsre Siege unsern Feinden eingeflößt hatten. Alexander herrschte auf den Congressen zu Châtillon und Wien; er ist es, der preußisch und österreichisch Polen (?) an sich riß und die Entschädigungen auf uns anwies; seine Nachfolger könnten eines Tags versucht seyn, diesem Beispiele zu folgen. Warum hätte im Januar 1815 Ludwig XVIII einen Tractat mit England und Oesterreich gegen Rußland abgeschlossen, wenn letztere Macht die Beschützerin Frankreichs im Unglück gewesen wäre? Und dermalen spricht man von Ansinnen, die der Czar an seinen Schwiegervater und an seinen Schwager mache. Wenn man nun auch den Ersatz zeigen kann, den er Preußen anbieten wird, woher will er denselben für das Königreich der Niederlande nehmen?

Weg mit kleinmüthigen Entschlüssen! Nein, der Ruhm des Vaterlands, der durch mein Blut und durch das Blut so vieler Tapfern versiegelt ist, soll durch mich nicht entweiht werden! Als ob ich meinte, Frankreich solle sich von einer andern Macht ans Schlepptau nehmen lassen! Frankreichs Schicksal hängt nicht von England, nicht von Rußland ab, sondern von ihm selbst. Die Stärke hat immer ihre Allirten; die Schwäche hat nur Beschützer, die ihr auf hohe Zinsen borgen. Wenn zweimal hundert tausend Bajonette unsre Diplomatie unterstützen werden, so fürchten wir die Gefahren, die sich jetzt in der Ferne zeigen, nicht mehr. Wir wählen dann den günstigen Augenblick, in die Schranken zu treten, und zu nehmen, was wir verloren haben, ohne daß wir unsre Hülfe an Europa verkaufen und durch das Losungswort; „Laßt uns theilen“ unsre Rechtlichkeit beflecken. Europa hat noch nicht vergessen, daß die Degen von Zürich, von Austerlitz, von Wagram, von der Moskowa, von Bautzen .... schwer in der Wage liegen.

Sollte sich Europa den Eroberungen der Russen, weil es sie bisher geduldet hat, nie widersetzen? Sollte – weil in Folge von Intriguen, die noch nicht hinlänglich bekannt sind, der Feldzug von 1812 gescheitert ist – Europa, das damals in Meinungen und Interessen getheilt war, auch jetzt nicht jene Barriere wieder aufrichten, die Frankreich stets hätte vertheidigen sollen? So bliebe also dem Continent Nichts übrig, als die demüthigende Wahl zwischend dem Joch der civilisirtesten Nation oder dem Joch der Leibeignen? Keineswegs; es fehlt nicht an Soldaten, die sich Jedem, der den Unterdrücker spielen wollte, widersetzen könnten. Oesterreichs Heere verdienen, daß man mit Achtung von ihnen spricht; das Lob, welches Montecuculi den ottomanischen Truppen ertheilt, darf man auch nicht ganz vergessen; endlich haben die Russen in den letzten Kriegen nicht immer die Unbesiegbarkeit gezeigt, die man ihnen sonst beimaß.

Die Angelegenheiten des Orients sind aber nicht blos eine Frage des europäischen Gleichgewichts. Heutzutage darf man die Grundsätze der Politik nicht mehr aus dem westphälischen Frieden schöpfen: es handelt sich um die großen Interessen der Humanität und der Civilisation, um die Unabhängigkeit des Continents, um die Vertheidigung der constitutionellen Freiheit gegen den Absolutismus; es handelt sich endlich darum, der Permanenz jener beträchtlichen stehenden Heere ein Ziel zu setzen, welche stets die Ruhe der Völker bedrohen und ihre Finanzen erschöpfen. Die hohe Civilisation zwar, die eine Vertretung aller Rechte und aller Interessen fordert, geht so schnell nicht vorwärts, aber sie geht doch. Nach und nach, wenn auch langsam, unterwerfen sich die europäischen Monarchen der Gesetzgebung des menschlichen Geistes; die, welche die französische Revolution am Heftigsten bekämpft haben, konnten dem Einfluß ihrer Principien nicht widerstehen. Auch für Rußland wird dieser Tag kommen. Aber wenn dem asiatischen Zepter der Autokraten der Continent sich beugen müßte, so würde der endliche Sieg dieser hohen Civilisation auf eine entfernte Zukunft hinausgeschoben werden.


(Schluß folgt.)

Ireland und die Emancipation der Katholiken.


(Fortsetzung.)
Die dießjährigen Parlaments-Verhandlungen.

Sir Francis Burdett fuhr fort:

Erst zu der Zeit des americanischen Krieges, als die brittischen Truppen aus Ireland gezogen wurden und die

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_677.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)