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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

der Landung der Anglo-Normannen auf dem irischen Boden; 750 Jahre haben die Häuptlinge und das Volk von Ireland ihre Hände gegen England ausgestreckt und um die Gunst gefleht, an den Segnungen seiner Constitution Theil nehmen zu dürfen; 750 Jahre hat dieses Land, unbeugbar in seiner thörichten Politik, darauf bestanden, ein Recht zu verweigern, welches es Ireland hätte bitten sollen, von seiner Hand anzunehmen. Durch eine solche Politik haben wir Ireland, statt zu der Kraft und Stütze des Reiches – wie es seyn sollte – zu seiner Schwäche und zu dem Vorwurfe von Europa gemacht. Und durch keine ungerechte Schickung hat die Vorsehung an uns selbst die Uebel heimgesucht, die von uns oder im Namen unseres Vaterlandes dem Volke von Ireland auferlegt worden sind. Wir fühlen diese Heimsuchung in unseren getheilten Rathssitzungen, wir fühlen sie in dem schwankenden und unbeständigen Zustande unserer Staatsverwaltung und in dem Mißtrauen, welches sich gegen unsere Staatsmänner zeigt. Und allmälig werden wir Gelegenheit erhalten, sie auch in den wichtigeren Lebensprincipien der Gesellschaft zu fühlen; wir werden sie fühlen in der Verarmung und dem äußersten Ruin der englischen Handarbeiter, – in der anschwellenden Fluth elender Bettler, [1] welche, in Folge unserer Thorheit, auf unsere Ufer getrieben werden. Dieß ist der Zustand, in welchem die Dinge sich gegenwärtig befinden; und die Frage ist, ob wir auf unsere Gefahr diesen Zustand der Dinge länger aufrecht erhalten sollen oder nicht. – Wir haben mit den Katholiken von Ireland nicht zu tun als mit Mitgliedern einer Glaubensgemeinde, die über das Land zerstreut und unter die gesammte Bevölkerung desselben vertheilt ist; sondern wir haben mit ihnen zu thun, als mit einer ausgebreiteten Körperschaft, die alle charakteristischen Eigenschaften einer Nation besitzt. Wir schließen von den Vortheilen unserer Constitution und von dem Schutze unserer Gesetze ein braves, verständiges, uraltes Volk aus; ein Volk, das durch Stamm, Sprache und Religion, so wie durch alle anderen Merkmale, welche einen eigenthümlichen Ursprung und Bildungszustand bezeichnen, von allen anderen unterschieden ist, – unterschieden vor Allem durch jene Umgrenzung, die immer dem menschlichen Geiste den tiefsten Eindruck der Nationalität einprägt. Wir haben zu thun mit dem Volke, das durch die Erinnerung an lange Leiden und an alten Ruhm zusammengehalten wird. Warum sollte man darauf bestehen, ein Volk zu erbittern und durch den Haß gegen seine Bedrücker zu vereinigen, welches eben so dankbar seyn kann für Wohlthaten, die ihm erwiesen, als empfindlich gegen Beleidigungen, die ihm angethan werden? Man kann keinen einzigen Grund, weder der Gerechtigkeit, noch der Politik für ein solches Verfahren anführen; aber wohl viele Gründe dagegen. Einer dieser Gründe und ein sehr einfacher ist der, daß die irischen Katholiken, als ein Volk, zahlreicher und folglich auch mächtiger sind, als eine bloße Secte; und daß es daher weniger gefahrlos ist, sie zu beleidigen.

Ein zweiter Grund ist, daß sie mit einem Nationalstolz begabt sind, welcher das Gefühl der Unterdrückung bei ihnen erhöht. Ist es wohl möglich, daß man sich einbilden könnte, die Katholiken fühlten ihre gegenwärtige Lage nicht als eine Beleidigung und Ungerechtigkeit? Dieß ist der Standpunct, von welchem man die Frage, welche uns vorliegt, beurtheilen muß. Und ob dieselbe durch die Stimmen dieses Hauses in dieser oder in einer anderen Nacht entschieden werden mag; so ist kein Zweifel, daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo diese Entscheidung endlich eintreten muß.

(Fortsetzung folgt.)

Ueber die Angelegenheiten des Orients,

von General Pelet.

(Schluß.)

Weit entfernt, dem Gedanken Raum zu geben, daß es mit dem Fall Konstantinopels um die Unabhängigkeit der Welt schon geschehen sey, haben wir blos behauptet, daß alsdann die Entwicklung der russischen Eroberungsplane gegen Europa beginnt. Wir haben uns eben so wenig von England eingebildet, daß es mit zehn Battaillonen, fünfzehnhundert Kanonieren und zwölf Linienschiffen die Unternehmungen der Russen vereiteln werde; aber es würde in allweg ihre Fortschritte aufhalten, und die Kontinentalmächte würden Zeit gewinnen, ihre Intervention geltend zu machen. Glaubt man damit Europa zufrieden zu stellen, daß man ihm von der Leichtigkeit vorredet, mit welcher die Russen Konstantinopel und Wien wegnehmen werden? Man hat uns nicht gesagt, was sie thun werden, wenn sie erst Herren von Oesterreich sind! Vielleicht, daß es alsdann zu spät wäre, an Vertheidigungsmaßregeln zu denken.

Ein schöner Traum, mit dem man sich schmeichelt, wenn man glaubt, Rußland beabsichtige auf dem Gebiet der europäischen Türkei die Gründung eines unabhängigen griechischen Staats! Wo hätte bis jetzt das Cabinet von St. Petersburg eine Uneigennützigkeit gezeigt, welche zu diesem Uebermaß von Zutrauen berechtigte? Hat es, ungeachtet seiner Verheißungen, das Verbrechen des achtzehnten Jahrhunderts gegen Polen – ein Land, das eben so sehr unsere Theilnahme verdient, als Griechenland – wieder gut gemacht? Zu oft hat man uns schon das Beispiel Philipps V angeführt, der Frankreich bekriegte. Ohne Zweifel würde der neue Herrscher von Byzanz in der Politik nicht erkenntlicher seyn. Dieß weiß Rußland so gut als wir. Es weiß wohl, wenn es sich der Propontis nicht für sich bemächtigt, daß es umsonst eine Regierung sucht, die geneigter wäre als die türkische, ihm die Freiheit der Durchfahrt und die Vortheile des Handels zu erhalten.

Die Wiederherstellung eines großen europäischen Staats im Norden des Bosporos und des Hellesponts ist eine Frage, die in ernstliche Betrachtung gezogen zu werden verdient, aber ihre Lösung nicht von poetischer Sentimentalität, sondern von tiefer praktischer Kenntniß des Landes und seiner Völker, ihrer Gegenwart und ihrer Vergangenheit erwartet. Wer wollte die Ueberreste des oströmischen Reichs ausgraben, um ihnen ein ephemeres Leben

  1. Paupers, Arme, die von den Kirchspielen durch die Poorrates (Armentaxe) ihren Unterhalt beziehen.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_684.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)