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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

unbegreiflichsten Wechsel des Glücks seyn müssen; so war doch der Gegensatz von der Kaiserin von Haiti in ihrem Palaste zu Sans-souci, umgeben von einem glänzenden Hofe, umflattert von Schmeichlern (denn Höflinge gleichen sich überall, von welcher Farbe sie auch seyn mögen) und der armen verlassenen Schwarzen, die in einer erbärmlichen Trattoria ihre Maccaroni verzehrte – ein Gegenstand des Gelächters für den Pöbel und der Neugierde für Alle – etwas Erstaunenswürdiges. Es war eine Lehre, von welcher der Weiseste und der Beste hätte lernen können. Ich hatte die Nachrichten von den Staatsveränderungen in Haiti, von der Thronumwälzung und dem Selbstmorde Christophs und der Ermordung seiner ganzen Familie in den öffentlichen Blättern gelesen, und natürlich daraus geschlossen, daß diese Dame mit ihren Kindern umgekommen seyn müsse. Oft dachte ich ihrer mit Bedauern. Ich hatte sie in ihren glänzendsten Augenblicken gesehen, und es wäre mir nicht eingefallen, daß irgend ein Zufall uns wieder in Berührung mit einander bringen könnte; selbst wenn irgend ein Glied der Familie dem allgemeinem Verderben entgangen seyn sollte.

(Fortsetzung folgt.)


Volksbildung in England.


(Fortsetzung.)

Der Kreis der Unterrichtsgegenstände in diesen Instituten ist durchaus nicht beschränkt. Anfangs zwar erstreckten sich die Lehrvorträge vorzugsweise auf Gewerbkunde und die ihr zum Grunde liegenden Wissenschaften, weil diese Kenntnisse den Bedürfnissen der Lehrlinge am Nächsten liegen, wie man aus der im Jahre 1825 entworfenen übersichtlichen Skizze von Brougham, die wir sogleich mittheilen werden, ersehen wird. Seitdem hat sich indessen die Unterrichtssphäre immer mehr erweitert. In vielen Instituten, wo es die Umstände erlaubten, traten Vorlesungen über Geschichte, Politik, Moral, Nationalökonomie u. s. w. hinzu; kein Zweig menschlicher Bildung und Wissenschaft ist ausgeschlossen; was nur immerhin den Forschungsgeist wecken und beleben, und das Herz veredeln kann, wird, wenn günstige Verhältnisse eintreten, in den Kreis des Unterrichts aufgenommen. Es ist in der That erstaunlich, wie rasch und sicher wissenschaftlicher Geist und methodisches Denken sich in diesen trefflichen Instituten entwickeln. Der Verfasser, der öfter Gelegenheit hatte, den Zusammenkünften zu Diskussionen in der Mechanics Institution in London beizuwohnen, konnte sich nicht genug über die Präcision im Ausdruck, die Kunst im Demonstriren, den Scharfsinn in der Anwendung theoretischer Sätze auf die Praxis und über den Erfindungsgeist in den Vorschlägen zu Verbesserungen wundern, welchen hier Schreiner, Maschinenmacher, Wagner, Färber u. s. w. an den Tag legten. Welche Vervollkommnung der Industrie – um nur dies Eine zu berühren – darf England von diesen Instituten hoffen, welche durch die wissenschaftliche Grundlage, die sie gewähren, den blinden Schlendrian, in welchem Gewerbe und Künste in andern Ländern fortschleichen, für immer verbannen und dem Forschungsgeiste alle Bahnen der Erfindung, Verbesserung und des immer weitern Fortschreitens öffnen!

Endlich dürfen wir eine Seite dieser Institute nicht unberührt lassen, die vorzügliches Lob verdient; es ist dies ihre treffliche Wirkung auf Charakter und Sitten der Lehrlinge durch den Einfluß der Lehrer, die Kraft des Unterrichts und den Geist, der aus der Anordnung des Ganzen hervorgeht. Die Lehrlinge fühlen sich als Glieder eines unter gemeinsamen Gesetzen stehenden Ganzen, dessen Unterhaltung und Administration ihr eignes Werk, dessen Zweck ihre eigne höhere Bildung und ihr bürgerliches Wohl ist. Dieses edle, freie Verhältniß, die Verbindung mit den achtbarsten, zum Theil berühmten Männern, die ihre Lehrer sind, der Eintritt in das aufgeschlossene Reich der Wissenschaften lassen ein neues geistiges Daseyn für sie aufgehen, in dem nothwendig auch ein neues sittliches Leben reifen muß. Der Verfasser hat von mehrern Direktoren des Instituts in London hinreichende Auskunft über diesen Punkt erhalten. Leute aus den niedrigsten Volksklassen, zum Theil aus den Hefen des Pöbels, sobald sie sich in diese anregenden Verhältniße versetzt sahen, änderten schnell und leicht alte Gewohnheiten und Sitten und wurden in manchen Fällen wahrhaft neu geboren: der Geschmack an den gröbern Vergnügungen der Sinne erlosch; es schien ihnen unwürdig, ihre Zeit auf den Straßen oder in Bierhäusern zu vergeuden. Der Reiz des Denkens, Lernens und Forschens in den Lehrstunden, und in den Zusammenkünften für Diskussionen, die fast überall mit den Instituten verbunden sind, sowie der Lektüre, wirkte mit seiner ganzen Gewalt. Ein edler tüchtiger Gemeingeist belebte Alle; die Grundsätze der Ehre, Redlichkeit, Sparsamkeit und Ordnungsliebe wurden gewissermaßen als Gesetze des Instituts betrachtet. Selbst bei ihren Erholungen waren sie auf eine nützliche Thätigkeit bedacht. Als Hr. Völker im Jahre 1826 die Turnübungen in England allgemeiner einzuführen bemüht war, wurde er von der Mechanics Institution in London ersucht, auch für diese Anstalt Unterricht zu ertheilen. Unter seinem Vorsitz wurde eine Turnordnung debattirt und beschlossen, und sodann der Unterricht begonnen. Der Verfasser, der öfter diesen Uebungen beigewohnt hat, kann sich nicht erinnern, gesittetere Menschen auf den Turnplätzen der deutschen Universitäten gesehen zu haben. – Nach den Versicherungen, die der Verfasser von Brougham und Gil-christ erhielt, war dieselbe sittliche Wirkung in allen Instituten dieser Art zu erkennen. Welche reiche Ernte an wahrem Bürgersinn und praktischer Tüchtigkeit kann also der Staat von diesen Anstalten erwarten!

Wir wenden uns nun, nachdem wir durch die bisherigen Bemerkungen das Wesen dieses Systems genügend charakterisirt zu haben glauben, zu einer historischen Uebersicht des Wichtigsten, was besonders in Verbreitung der Mechanics Institutions geschehen ist. Diesen

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_700.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)