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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Das letzte Mal, als ich alle diese Personen sah, von denen der größte Theil nicht mehr auf dieser Welt ist, war auf einem Ball, den die Kaiserin zu der Geburtstagsfeier ihres ältesten Sohnes gab, – in ihrem Palaste von Sans-souci bei Cap Henri, wie damals die Stadt Cap François dem Kaiser zu Ehren genannt wurde. Dieß ist, beiläufig bemerkt, nicht die einzige Stadt oder Straße, die ihren Namen in neuerer Zeit verändert hat; wir könnten vielleicht auch auf dem europäischen Continent einige Beispiele davon finden. Daß aber meine Leser bei der Vorstellung eines Hofballes auf Haiti nicht etwa lachen! Sie mögen sich vielmehr den glänzendsten bal paré denken, den sie nur immer in dem elegantesten Salon von Paris gesehen haben, und sie werden nur eine schwache Vorstellung von der Pracht von Sans Souci erhalten. Sie mögen ihn mit aller Eleganz und Modesucht, Affectation und Kleinmeisterei ausstatten, die ihnen je in den civilisirtesten Ländern begegnet sind; sie mögen Titel und Uniformen, Ordensbänder und Sterne, Eis und Erfrischungen und alle die et cetera hinzufügen, die irgend Reichthum und Macht begleiten; und dann müssen sie einen Zauberer rufen, und die ganze Gesellschaft plötzlich in Schwarze verwandeln lassen, und sie werden im Stande seyn, sich den letzten Hofball zu malen, den ich auf Haiti sah. Rang und Titel, um diese glänzende Gesellschaft zu heben, fehlten nicht; Fürsten und Edle, Reichsgrafen und Hofmarschälle waren da, ja sogar ein Großadmiral und ein Erzbischof, und der erstere überdieß ein Bruder des Souveräns, Seine kaiserlich königliche Hoheit Prinz Jean. Aber nirgends sah man eine Flotte oder eine Kathedrale. Besonders lebhaft erinnere ich mich, wegen ihrer passenden Namen, an den Duc de Marmelade, der Gouverneur der Hauptstadt, und an den Comte de Limonade, der Privatsecretär Seiner Majestät war. Was nun aus allen diesen großen Herren geworden ist, weiß der Himmel; sie sind verraucht und in alle Welt zerstreut, gleich ihren Zeitgenossen von verschiedener Farbe und einem größeren Reiche. Aber wenn irgend Jemand die Wahrheit meiner Angaben bezweifelt, so schlage er den Hofkalender von Haiti auf; wenn dieser nicht, wie der Napoleons, vergriffen ist. Ich besaß sie einst beide; und wenn die Damen von Paris sich durch meine Vergleichung beleidigt fühlen sollten, so kann ich sie versichern, daß mit Ausnahme der Farbe und der platten Nasen, diese Vergleichung eher ein Compliment, als etwas anderes, ist; denn die Damen von Haiti sind, so lange sie jung sind, die schönsten Gestalten, die ich je in irgend einem Lande gesehen habe. Aber alles dieß ist jetzt dahingegangen: Sans Souci ist verödet, das Kaiserreich ist eine Republik geworden; der Kaiser hat sich selbst getödtet, seine Kinder sind ermordet, seine Familie vernichtet oder in der Verbannung.

(Schluß folgt.)


Die Urchristen.

Kürzlich hat sich in Dublin eine neue Secte gebildet, die weniger durch ihre Zahl, als durch ihre Sonderbarkeit merkwürdig ist. Sie nennen sich Urchristen (Primitive Christians); ihr System besteht aus einer Mischung von jüdischen, pythogorischen und christlichen Lehrsätzen. So feiern sie z. B. den Sabath, enthalten sich der Fleischspeisen und leben von roher Pflanzenkost; wie die ersten Christen haben sie die Gütergemeinschaft unter sich eingeführt und wohnen in einem Hause beisammen. Der letztere Umstand macht noch die geringste Schwierigkeit, da ihrer nur drei sind, wovon – sonderbar genug – die Majorität dem geistlichen Stand der herrschenden Kirche angehört. An der Spitze des ascetischen Triumvirats steht ein sehr berühmter Redner, der seiner Zeit im Gebiet der Controverse viel Aufsehen erregte. Der andere ehrwürdige Gentleman war eine Zeitlang Schiffsprediger und der dritte Bruder ist ein Arzt. Letzterer, ein religiöser Phrenologist, der die Gnadenwahl und die Wiedergeburt der Christen an ihren Schedeln nachweist, und Lehrer an der Universität zu Dublin ist, beobachtet seine neu angenommenen Satzungen so streng, daß er am Samstag keine Kataloge von einem Buchhändler annimmt.

Morning Herald June 6.


Prozeß gegen einen Pilger.

Vor dem Tribunal zu Valence erschien ein sonderbarer Beklagter. Er hieß Tronc, trug einen langen Bart und nannte sich einen Pilger. Er befand sich erst seit zwei Tagen in Valence und hatte, in seinem Pilgergewand, zwei Abende nach einander ein liederliches Haus besucht, nachdem er den Tag über, mit einem großen Gebetbuch in der Hand, Almosen eingesammelt hatte. Die Polizei hatte ihn sogleich ins Auge gefaßt, verhaftet und vor die Behörde gebracht. Der Angeklagte erklärte, er habe in einer schmerzhaften Krankheit das Gelübde gethan, im Fall seiner Genesung fünf Jahre zu pilgern. Er zeigte ein vom Pabst Leo XII unterzeichnetes Patent vor, das ihn berechtigte, das Pilgergewand während dieser Zeit zu tragen und zum Beßten der Armen Almosen zu sammeln.

Der Advokat des Königs theilte zwei Certificate mit, daß Tronc eine gewisse Summe Geldes und andere Gegenstände, als den Ertrag seiner Almosen, an Arme vertheilt habe.

Der Advokat des Beklagten vertheidigte seinen Clienten durch das päbstliche Patent.

Auf die Gegenbemerkung, daß der Pabst nicht von dem Verbot des Bettels gegen das Landesgesetz dispensiren könne; daß ferner der Angeklagte seine Vollmacht überschreite, so wie er die Almosen theilweise oder ganz in seinen Nutzen verwende; daß endlich Tronc überhaupt ein eben so christliches Werk thun würde, wenn er bei seinen acht Kindern zu Haus bliebe – erkannte das Gericht auf 14 Tage Gefängniß.

Bei dieser Gelegenheit erinnerte man sich, daß früher vor demselben Gerichtshof zwei Individuen, Mann und Frau, beide jung und von gutem Aussehen, zu drei Monaten Gefängniß verurtheilt worden waren. Und doch hatten sie ein von einem Pfarrer in aller Form ausgestelltes Zeugniß beigebracht, daß sie dem geistlichen Amte den ganzen Ertrag ihrer Almosen, bestehend in 19 Fr., zu Seelenmessen für Ludwig XVIII eingehändigt hatten. Nach ihrer Angabe wäre ihnen der selige König erschienen, und hätte sie zu diesem gottseligen Werk aufgefordert.

Gazette des Tribunaux 11 Juin.
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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_706.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)