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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

Von einer Familie, wie die Ihrige, wo so sichtbar der Segen Gottes waltet, müssen alle Mitglieder zu der politisch-religiösen Wiedergeburt Frankreichs beitragen.“

„Leider ist mein Benedikt taubstumm. Aber, diesen kleinen organischen Fehler abgerechnet, ist er schlau wie ein Fuchs und gewandt wie ein Affe. Doch es wird spät, mich ruft die Pflicht. Wenn Sie einen Neffen oder einen Vetter unterbringen wollen, zählen Sie auf meine Protektion; ich kann Ihnen vielleicht eine Supernumerariusstelle in meinen Kanzleien verschaffen.“

Seine Halb-Exzellenz, Hr. Visatout, reichte mir noch einmal seinen Zeigefinger und weg war er. Er hatte wohl gethan, sich zu beeilen. Pater Sycophantin und Frater Doucet erwarteten ihn.

„Denken Sie,“ sagte der Erstere, roth vor Zorn, „das Gerechtigkeits- und Liebesgesetz ist von der Pairskammer verworfen worden – das herrliche Gesetz – Sie müssen Herrn von Martignac darüber gehört haben, um es nach seinem ganzen Werth zu schätzen – welches die Pest der Presse in Frankreich ausgerottet hätte. Diese eigensinnige Erbkammer! Bald leistet sie uns so gute, bald so schlechte Dienste; sie gibt sich die Miene, als ob sie für kleine Verletzungen der Charte ein Gewissen hätte, nachdem sie dieser durch die Septennalität und das Sacrilegiumsgesetz den Herzstoß versetzt hat. Sey es noch um eine tüchtige Lieferung neuer Pairs und man wird sie schon mit sich selbst in Einklang setzen. Decaze hat sich begnügt, ihr einige leichte Rekruten in den Schoß zu werfen, Villele wird sie durch royalistische Geister und Bäuche vom Gewicht Humberts von Sesmaison erdrücken (va l’écraser d’esprits et de ventres monarchiques du poids d’Humbert de Sesmaison). Doch unser nächstes Geschäft ist jetzt, daß wir die Censur-Commission unter dem Vorsitz des berühmten Bonald, unsers ersten Dialektikers und Taktikers, organisiren. Die Gesellschaft Jesu kommt Ihren Wünschen entgegen, mein lieber Hr. Visatout, sie genehmigt Ihren Eintritt in den zu bildenden Ausschuß der Censoren; nur möchten wir uns vorher gerne überzeugen, Hr. Visatout, ob Sie die einem brauchbaren und loyalen Censor unentbehrlichen Studien mit Eifer und Erfolg betrieben haben?“

„Ich schmeichle mir, meine Väter, daß Sie mich nicht blöde finden werden; ich wurde zu verschiedenen Malen im Tourniquet [1] verwendet und ohne Anmaßung darf ich sagen, daß es mir mit einigem Scharfsinn gelungen ist, die Regierung von etlichen lästigen Wählern zu befreien, deren Ansprüche zwar sehr scheinbar, aber nichts desto weniger ganz ungegründet waren.“

„Schön, schön: das mag als ein gutes Noviziat für die Censur gelten; aber Ihre wirklichen Studien ...?“

„Sie werden mit mir zufrieden seyn. Ich besorgte in den betreffenden Bureaux das Geschäft, aus den liberalen oder jakobinischen Blättern die Redensarten auszuschneiden, welche die Zielscheibe der heiligen Journale der Congregation und des Ministeriums zu seyn verdienten.“

„Vortrefflich. Sie werden die Güte haben, Hr. Visatout, uns eine kleine Probe Ihrer Geschicklichkeit mitzutheilen. Hier ist ein Constitutionnel und ein Courrier Français. Nehmen Sie diese Journale herzhaft unter Ihr kritisches Messer, als ein redlicher Arzt, der, um seine Patienten zu retten, zur Amputation schreitet.“

Hr. Visatout drauf los, liest, und schneidert, daß es Fetzen gibt – Alles in einem Augenblick.

„Beim heiligen Ignaz! Kein Engel könnte seine Sache besser machen! Schon zehn Paragraphen castrirt! Dreißig Redensarten weggeputzt! Recht so, man soll keinen Talon, d’Agueßeau, l’Hospital loben. Ha! Bewundernswerth! Da schonen Sie Einen von unsern Beamten. Natürlich sagt Ihnen Ihr Verstand, daß er nicht im Ernst mit uns Krieg führt; um einander bei dringenden Gelegenheiten besser zu dienen, muß man manchmal den Schein annehmen, als ob man auf einander recht erbost wäre.

Sie sind berufen, lieber Visatout, der Schlange des Liberalismus den Kopf zu zertreten. Dieser Beruf trägt Ihnen einen Adelsbrief ein. Sie sollen eine Schere im schregen Kreuz zum Wappen haben; es wird sich auf Ihrer Kutsche gut ausnehmen. Aber suchen Sie indessen aus dem Umgang einiger Edeln, welche die Wissenschaft der Censur eben so praktisch als theoretisch gepflegt haben, Vortheil zu ziehen, lassen Sie deren Beispiel und Grundsätze auf Ihren Geist wirken und dann betreten Sie kühn die glorreiche Laufbahn, die wir Ihnen eröffnet haben.“

„Tausend Dank, bester Gönner: ich bin durch Ihre Güte so reich an Segnungen des Himmels, daß mir Nichts zu wünschen übrig bliebe, wenn nur mein Sohn Benedikt auch dem Staat nützlich seyn könnte, wenn er wenigstens ...“

„Auch für Ihren Taubstummen ist gesorgt; er kommt in die geheime Kanzlei, ja er befindet sich in diesem Augenblick bereits in Thätigkeit.“

Die Väter nehmen Abschied. Visatout versinkt in selige Träume, und bunte Erscheinungen ziehen vor seiner Seele vorüber. Hold lächelt ihn der heilige Dominikus an, lustig lodern die Holsztöße auf. Unter das Volk werden Weinflaschen und Würste vertheilt, und es jubelt den Auto da fes entgegen und fragt, warum man blos ketzerische Bücher und nicht lieber Ketzer verbrenne? – Schon lagen Voltaire, Rousseau, d’Alembert, Diderot, Bayle in Asche, und Andere erwartete dasselbe Schicksal, da klopfts an der Thür und herein titt ein Lackey, der den Staatsrath, Direktor der Posten, meldet.

Der Direktor des schwarzen Kabinets.

„Ich komme, lieber College, Ihnen zu dem außerordentlichen Talent Ihres Sohnes Benedikts meinen herzlichen Glückwunsch abzustatten. Er brauchte kaum einen Blick auf die verschiedenen Operationen meines geheimen Bureaus zu werfen, um sie selbst mit einer Geschicklichkeit auszuführen, die meine Leute in Erstaunen setzte. So erlies ich ihm denn auch das gewöhnliche Noviziat von“

  1. Die Kanzlei, in welcher die Wahlregister verifizirt werden. Sie befindet sich in der Nähe des Justizpalastes, neben der Sicherheitspolizei, wo einst Hr. Vidoc hauste.
Empfohlene Zitierweise:
Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_712.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)