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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

ihrer Oberfläche (3615 ☐ Lieues), welche die von England ohne Wales beinahe erreicht, oder auf die wunderbare Fruchtbarkeit ihres Bodens, auf die Beschaffenheit ihrer Bevölkerung, die zu drei Fünftheilen aus Freien besteht – sondern vor allen Dingen auf die Vortheile der geographischen Lage von Havanna. Der nördliche Theil des Meers der Antillen, unter dem Namen des mexikanischen Golfs bekannt, bildet ein kreisförmiges Becken, mit einem Durchmesser von mehr als 150 deutschen Meilen, ein Mittelmeer mit zwei Ausflüßen, dessen Küstenländer von der Spitze von Florida bis zum Cap Catoch an der Spitze von Yucatan ausschließliches Eigenthum der beiden Bundesstaaten von Nordamerika und Mexiko sind. Die Insel Cuba, oder vielmehr ihr Litoral zwischen dem Cap St. Antonio und der Stadt Matanzas an der Mündung des alten Bahamakanals, umschließt diesen Golf von der südöstlichen Seite und läßt dem sogenannten Golfstrom keinen Durchgang, als im Süden die Meerenge zwischen dem Cap St. Antonio und dem Cap Catoch und im Norden den Bahamakanal zwischen Bahia Honda und den Untiefen von Florida. Und gerade hier, wo sich zwei Straßen des Völkerhandels durchkreuzen, wo die Flotten, auf den Schiffswerften und aus dem Cedrela- und Cahobaholz der Insel gezimmert, den Eingang des mexikanischen Meeres verschließen und die gegenüber liegenden Küsten bedrohen, liegt Havanna, wie Cadix bestimmt, eine herrschende Seestadt zu seyn.



Die Kentuckier[1].


Die erste Nacht unter einem Obdach in Kentucky, überzeugte mich schon, daß die Bewohner dieses Staates in Neuyork mit Recht halb Roß, halb Alligator genannt, noch keine milderen Sitten angenommen hatten. Der Bauer, oder vielmehr Pflanzer, war mit seiner Frau abwesend und sein Bruder, der die Wirthschaft besorgte, auf einem Pferderennen; ein alter Mann, mit seiner Tochter allein zu Haus, bejahte meine Frage, ob ich hier Aufnahme fände. Ich speiste eben Speckschnitten, Kornbrod und Milch, als der Bruder des Hausbesitzers mit seinem Nachbar vom Wettrennen heimkehrte. Beide führten noch Rosse, außer denen, worauf sie ritten, und feuerten, bevor sie abstiegen, ihre Pistolen los. Beide Kentuckier hatten eine Pistole in dem Gürtel und einen Dolch in der Brusttasche. Eine Quartflasche in der einen Hand, und mit der andern die Tabakreste aus dem Munde ziehend, trank mein Wirth eine halbe Minute lang aus der Flasche, deren Rand von den Tabaksüberbleibseln eine braune Farbe bekommen hatte. Der Kentuckier sah mich mißfällig an, als ich die Flasche abwischte; allein ich kehrte mich nicht daran und reichte sie, nachdem ich getrunken, seinem Freunde. Wir setzten uns. „Wie weit kommt Ihr heute?“ fragte mein Wirth. „Von Cincinnati.“ „Ihr wohnt aber nicht in Cincinnati, vermuth’ ich, oder?“ „Nein, mein Herr.“ „Und wo wohnt Ihr denn?“ „In Pennsylvanien.“ „Eine gute Strecke!“ rief mein Gastfreund, „ich habe dies Volk in Pennsylvanien lieber, als die verdammten Yankees; aber immer sind es keine Kentuckier.“ Ich gab von Herzen meine volle Einstimmung. „Die Kentuckier,“ fuhr mein Wirth fort, „sind ein erstaunlich mächtiges Volk; sie sind das erste Volk auf Erden!“ „Ja, mein Herr.“ „Sie sind ein unbeschreiblich großes, ein Wunder, wie mächtiges Volk, sind sie’s nicht?“ „Ja, mein Herr.“ „Wie gefällts Euch in Kentucki?“ „Sehr gut, mein Herr; schon vor vier Jahren habe ich’s durchreist.“ „Gott verdamm! meiner Seel! Hölle und Teufel!“ brüllte das Unthier. „Die Pennsylvanier haben keine Quadratmeile Land in ihrem Staat, das sich mit unsern ärmsten Landen messen dürfte! Bill,“ (hier wandte er sich an seinen Nachbar zur Linken), „Bill ist kannibalisch gezeichnet worden. Gott verdamm’ mich etc., er blutete wie ein Schwein.“ „Ja,“ erwiderte sein Nachbar, „Sam hat excellent drein geschlagen, sollt’ ich meinen. Bill darf seine vier Wochen zuwarten, bis er wieder auf die Füße kömmt, wenn er’s je wieder so weit bringt. Gott verdamm! Aber sagt mir Isaak, die Mähre, auf die er so viel hält, ist nur ein armseliges Thier gegen seins – führ ihn auf den Sand. Ich hätt’ ihm Hals und Beine brechen mögen, wär’ auch draus entstanden, was da wollte. Aber Dick und John!“ – und nun brachen die beiden Ehrenmänner in das brüllendste Roßgelächter aus. „Wie seine Augen blinzelten, er sah aus wie der Squire Toms, wenn er die ganze Nacht über der Flasche lag; ich glaube, er wird seine Augen nicht mehr zu Recht bringen.“ „Er sieht gar nicht mehr,“ versetzte der Nachbar, „das eine hängt ihm ganz aus der Höhle, und John mußte ihn nach Hause bringen.“ Die Sekundanten waren doch herzliebe Leute, sollt’ ich meinen, daß sie nicht drein sprangen und den Spaß verderbten.“ „Ja, sie waren schon aus frühern Zeiten krumm auf John.“ „Meiner Sechs – das war ein einziger Spaß; um Alles in der Welt hätt’ ich ihn nicht gegeben. Gott verdamm mich! Dick versteht sich scharmant auf’s Augausschlagen – ein – zwei Hiebe – und John lag auf dem Boden! Ihr habt gewiß auch Wettrennen in Pennsylvanien?“ fuhr er gegen mich fort. „Ja, mein Herr.“ „Auch Gefechte und Prügeleien?“ „Nein, mein Herr.“ Mit einem bedeutsamen Blick auf seinen Nachbar, fuhr nun mein Wirth fort: „Ja, die Pennsylvanier sind eine ruhige, gottselige Menschenrace; sie stechen nichts als ihre Schweine, und verschenken all ihr Geld an die Pfaffen.“ Unter diesen und ähnlichen Gesprächen verging der Abend, und es ward eilf Uhr, bevor dieß interessante Paar sich trennte.

Am nächsten Morgen frühstückte ich eben, als uns ein Geheul und Hallo vor die Thüre rief. Ein Trupp Reiter kam vorüber. Zwei von ihnen hatten, jeder einen Neger, vor sich herlaufen, den sie mittelst einer an einem eisernen Halsband befestigten Leine hielten. Eine furchtbare Reitpeitsche trieb die Neger von Zeit zu Zeit an, ihre Schritte zu verdoppeln. Die blutigen Rücken und Nacken

  1. The Americans as they are etc.
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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 719. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_745.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)