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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland

ist hier zu schnell, als daß die Bevölkerung gleichen Schritt halten könnte. Der Werth des Getreides muß daher fallen und fällt unter den Preis, der erforderlich ist, um den Pacht oder die Abgaben und die Kosten des Anbau’s zu decken. Dennoch fahren die Feldbauer fort, nach wie vor ihren Waizen und ihren Hafer zu säen, weil es nach ihrem System des Ackerbaues kein anderes Mittel gibt, als in dieses Feld diese oder jene Getreideart zu säen, oder dasselbe unbestellt liegen zu lassen. Die weniger wohlhabenden Pächter und Bauern ruiniren sich, oder verarmen so sehr, daß sie nicht mehr im Stande sind, ihren Feldern die nothwendigen Vorbereitungen zum Anbau zu geben. Wenn dann unter solchen Umständen ein Jahr des Mißwachses eintritt, so ist es unvermeidlich, daß der Preis der unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse nicht eine sehr große Höhe erreiche. Derselbe Ausfall in der zweiten oder dritten Ernte muß eine wahre Hungersnoth hervorbringen, bis die Erhöhung des Preises der Producte dem Anbau eine neue Thätigkeit verleiht und die Feldbauer dahin gekommen sind – was aber nicht in dem Verlaufe von einem oder zwei Jahren erreicht werden kann – ihre Felder aufs Neue in den Stand zu setzen, daß sie reichliche Ernten erzielen. Aber dieser Reichthum selbst, durch ein oder zwei gute Jahre begünstigt, wird wieder dieselben Umstände und die Wiederholung derselben Bewegung herbeiführen. So ist bei diesem System des Ackerbau’s der Ueberfluß selbst ein Unglück, weil er unvermeidlich zur Hungersnoth führt.

Bei den zahlreichen Combinationen der Wechselwirthschaft ist es dagegen nicht bloß Getreide, was der Ackerbau für den Unterhalt des Menschen erzeugt; und da ihre Producte von größerer Mannigfaltigkeit sind, so bieten sie auch größere Sicherheit gegen die Nachtheile dar, welche der Mißwachs einer einzelnen Pflanzengattung in einem ungünstigen Jahre zur Folge hat. Der Anbauer, der zu jeder Jahreszeit Felder besitzt, die eine gute Vorbereitung erhalten haben – es sey zum Anbau von Handelsvegetabilien oder von Pflanzen, die zur Viehfütterung dienen – kann immer, wenn sich das Bedürfniß zeigt, die Bestimmung derselben ändern und in einer sehr kurzen Frist die Nahrungsmittel gewinnen, deren er und seine Mitbürger bedürfen; und er wird nie anstehen dieß zu thun, denn seine Interessen sind hier vollkommen im Einklang mit denen der ganzen übrigen Bevölkerung.

Dieses System des Ackerbaues ist daher allein fähig, einer zahlreichen und industriösen Bevölkerung die Gegenstände des Verbrauchs darzubieten, deren sie bedarf; dieses System allein macht es möglich, das so wünschenswerthe, gleichmäßige Verhältniß zwischen der Masse der Vorräthe und dem Bedarf eines Volkes fest zustellen; während auf der andern Seite bei dem System der Dreifelderwirthschaft, welche dem Menschen Nichts als Nahrungsmittel und wieder kein anderes Nahrungsmittel als Brod liefert, offenbar die Zahl der Einwohner eines Landes, so wie der Zustand seiner Industrie eine bestimmte, sehr beschränkte, Grenze nicht überschreiten kann. So bald einmal, wo letzteres System befolgt wird – mit Ausnahme der ausgedehnten Wiesengründe, welche dasselbe nothwendig macht – alles Land zum Ackerbau verwandt worden ist, kann die Bevölkerung unmöglich sich vermehren, ohne ihre Bedürfnisse von außen zu beziehen; und wenn das gleichmäßige Verhältniß zwischen der Production und der Consumtion einmal aufgehoben ist, so kann es nicht anders, als durch gewaltsame Bewegungen wieder hergestellt werden: unmäßiger Ueberfluß und Hungersnoth sind unvermeidliche Uebel, die periodisch wiederkehren.

Wenn wir unsere Blicke auf den Zustand der Agricultur bei den verschiedenen europäischen Nationen richten, müssen wir anerkennen, daß in dem Wettkampfe, in den alle gegenwärtig mit gleichem Eifer eingetreten sind, Frankreich bisher sehr zurückgeblieben ist. Allerdings hat seit dreißig Jahren, mitten unter den blutigsten Kriegen und Geißeln aller Art, die Bevölkerung dieses Landes sich um ein Fünftheil vermehrt; der innere Reichthum des Landes hat in gleichem Maße zugenommen: aber nicht den Verbesserungen des Agricultursystems verdankt dasselbe dieses Glück, sondern den wohlthätigen Folgen der Revolution. Frankreich verdankt seinen gegenwärtigen Wohlstand der Theilung einer großen Menge von Gemeindegütern, die früher unangebaut, jetzt einer großen Anzahl von Familien Unterhalt und Beschäftigung darbieten, der Aufhebung des Zehnten und der Erhöhung des Ertrages und des Preises der Handarbeiten, welche die Folge von der Theilung einer Menge großer Besitzungen gewesen ist, die in die Hände der jetzt so zahlreichen Classe der kleinen Grundeigenthümer übergingen.

Wir können nicht leugnen, daß es in Frankreich Gegenden gibt, in welchen die Kunst des Ackerbau’s eine Vollkommenheit erreicht hat, die von keiner anderen Nation der Erde übertroffen wird; Flandern hat das erste Beispiel der Wechselwirthschaft in Europa gegeben. Auch andere Theile des Königreiches zeigen eine mehr oder weniger hohe Ausbildung der Agricultur. Aber während jene flammländische Methode vierzig Jahre, nachdem sie zuerst in Großbritannien eingeführt wurde, dort beinahe allgemein angenommener Grundsatz des Feldbaus geworden ist, hat sie sich in Frankreich kaum in die nächsten Umgebungen ihrer Wiege verbreitet.

Die Ursache dieses auffallenden Unterschiedes in der Schnelligkeit, mit der gute Methoden in diesen beiden Ländern sich verbreiten, liegt vor Augen. Der flammländische Ackersmann liest so viel als Nichts und schreibt noch Weniger; was aber das Practische anbetrifft, so muß man ihm die erste Stelle unter den Landbauern von Europa einräumen. Er hat die Kräft seines Bodens studirt und kennt sie mit derselben Genauigkeit, mit welcher ein geschickter Mechaniker die Kraft und den Widerstand von einem jeden einzelnen Theile einer Maschine kennt, die er gebaut hat: er weiß, daß nach dieser Ernte, nach dieser Bestellungsart des Feldes diese Pflanze nicht gedeihen wird, während er von jener andern der reichsten Früchte gewiß ist. Durch Beobachtungen dieser Art und durch

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_748.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)