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Berges riselt aus einer Felsenmasse eine kleine kalte Quelle hervor, die das „Geisterbrünnel“ genannt wird. Sie gilt als Aufenthaltsort und Schlupfwinkel der Gespenster des Berges.


15 Der wilde Jäger

Oft hört man über das Hochfeld, die höchste Erhebung der Nordvogesen, den wilden Jäger mit lautem Jagdruf dahinstürmen. In selbst siht man nicht, wol aber oft seine Hunde, die er mit dem lauten Ruf: Ho tata! Ho tata! anfeuert.

Eine Frau, die mit irem Mann gegen Abend zum Hochfeld anstig, erblickte plözlich zwei große Hunde, die sie stumm umkreisten. Der Mann gebot ir durch Zeichen Stillschweigen, und beide schritten eilend und schweigend weiter. Plözlich hörten sie über sich den Jagdruf und Rossegewiher. Erst als die beiden halbtot das nächste Forsthaus, die „Melkerei“, erreichten, verschwanden die Hunde und verstummten die Rufe.

Einem Holzhauer, der mit noch mereren Genossen in einer Holzhütte am Hochfelde lag, ergieng es schlimmer. Als er den Lärm der Jagd hörte, trat er in die Türe der Hütte und rief den Jagdruf laut mit. Ein furchtbarer Windstoß faßte in und warf in in die Hütte zurück, wo er betäubt ligen blib. Seine Genossen schlossen rasch die Türe. Lange tobte der Sturm um die Hütte und jeden Augenblick glaubten die Holzhauer, daß diselbe zusammenbrechen würde.

Auch auf dem Elsberge, am St. Odilienberge, zeigt sich der wilde Jäger. Dort glauben einige, daß es ein alter Förster Namens Henseler sei, der, als er starb, gesagt hätte, er würde den Wald noch 100 Jare hüten. Der alte Jäger hatte auf dem Berge eine kleine Hütte, der Ort heißt jezt noch „Henselers Hütt“.


16 Der Jungfrauenplaz

Südlich von Markirch auf einem Ausläufer des Breßoir ligt inmitten einer Waldlichtung ein zimlich großer Haufen zusammengeworfener Steine. Der Ort heißt der Jungfrauenplaz. Man erzält, daß hier ein junges Mädchen begraben lige, die von irem Liebhaber erschlagen wurde. Sitte ist es, daß jeder Vorübergehende einen Stein aufnimmt, auf den Steinhaufen wirft und dazu ein Vaterunser betet.

Diser eigentümliche Gebrauch des Steinwerfens ist über die ganze Erde verbreitet. In Norddeutschland heißen derartige Anhäufungen „Nobiskrüge“. Uralt und heidnisch muß der Gebrauch sein, denn eine der Bußfragen bei Burckhart von Worms lautet: Hast du Steine zu einem Haufen zusammengetragen? Zu vergleichen ist der Aufsaz von Karl Haberland: die Sitte des Steinwerfens und der Bildung von Steinhaufen, in Zeitschrift f. Völkerpsychologie XII S 239. 309.


Empfohlene Zitierweise:
Anton Birlinger (Hrsg.): Alemannia XI. Marcus, Bonn 1883, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XI_033.gif&oldid=- (Version vom 31.7.2018)