Seite:De Alemannia XVII 279.jpg

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in Innsbruck besorgt. Es ist erfreulich, daß die schönen Sagen vermert erscheinen. Sovil mir mitgeteilt worden, wird die Auflage 25–27 Druckbogen umfaßen.
AB     

In einem Dorfe Vorarlbergs hatte eines heißen Nachmittags eine Mutter ser vil Feldarbeit zu verrichten. Sie nam daher ir kleines Kind mit aufs Feld hinaus und legte es in der Nähe in einem Bettlein an einen schattigen Ort und gieng irer Arbeit nach. Nachdem sie sich geraume Zeit gehörig angestrengt hatte und endlich mit der Arbeit fertig geworden war, sah sie sich nach irem Kinde um. Doch wie erschrak die arme Mutter, als sie für ir eigenes schönes Kind ein fremdes in dem Bettlein erblickte, mit langem, spindelförmigem Leibe und unverhaltnismäßig großem, dickem Kopfe! Wenn auch ungern, trug sie dennoch dises häßliche Kind mit nach Hause und ernärte es wie ir eigenes siben Jare hindurch. Da aber dises Wesen wärend der langen Zeit sonderbarer Weise gar keinen Laut von sich gab, so befremdete diß die gute Frau, und sie erzälte daher den ganzen Sachverhalt dem Herrn Pfarrer. Diser riet ir, möglichst vile Eierschalen, so vile sie im Hause nur auftreiben könnte, vor das Kind auf den Herd zu legen, wenn es schliefe. Sobald es dann erwache und beim Gewarwerden diser Eierschalen darüber in laute Verwunderung ausbreche, solle sie eilends aus dem Verstecke, in das sie sich zur Beobachtung des Kindes begeben, hinzulaufen und dasselbe mit einer Rute züchtigen; auf dise Weise könnte sie wider zu irem eigenen Kinde kommen. Die Frau befolgte den Rat des Pfarrers, legte eine große Menge Eierschalen vor das auf dem Herde schlafende Kind und verbarg sich dann in einer Ecke der Küche. Wie nun das sonderbare Geschepf erwachte und die vilen Eierschalen erblickte, rief es voll Staunen aus: „Nun habe ich den Bühler Wald bereits neunmal schlagen sehen, und jezt ist schon wider Wald; aber so vile „Schüßele“ und „Schälele“ wie hier, habe ich noch nie gesehen!“ Nach einer andern Version:

„I’ bin so alt als Bühler-Wald,
Nuenmâl g.(schlage) und wider Wald;

aber so vil „Hifele“, „Häfele“ han i’ iaz noch nia g.sêh. Wie das Kind diß sagte, rannte die Frau herbei und züchtigte es tüchtig mit der Rute. Da erschin plözlich ein altes Weiblein in der Küche mit dem indessen bedeutend herangewachsenen Kinde der Frau und jammerte: „Siben Jare schon pflegte ich dein Kind und tat im nie etwas zu Leide, und du schlägst mein Kind so unbarmherzig.“ Darauf entfernte sich die Alte mit irem garstigen Kinde und ließ das mitgebrachte wider seiner Mutter zurück.

Das Tal Paznaun, das die Alemannia künftig öfter nennt, grenzt südlich an Graubünden, zunächst an das Engadin, westlich an Vorarlberg (Montavon), nördlich an das Stanzer- und östlich an das

Empfohlene Zitierweise:
Anton Birlinger (Hrsg.): Alemannia XVII. Hanstein, Bonn 1889, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XVII_279.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)