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Einen Augenblick an etwas anderes in Liebe gedacht, so wäre es nimmer erlöst worden.

Es war wieder Frühling und das Wetter sehr schön geworden, und ein ganzes Jahr war vergangen seit jenem Abend, wo die beiden dem weissen Hahn in den Wald nachgelaufen waren. Die Sonne war lange unter, Else war zu Bett, da schlich sich Mariechen ihrer Gewohnheit nach durch den Garten über die Wiese in den Wald zu ihrer Eiche und ihrem Schlehendörnlein, das wieder mit grünen Blättern und weissen Blüthen prangte. Sie saß bei ihm, hielt es umschlungen und ihr Herz war ihr so sehnsüchtig und thränenweich und sie mußte sprechen: Ach! du liebstes liebstes Dornsträuchlein, könntest du doch sprechen, daß du es auch weißt, was mein junges Herz um dich leidet! Und Mariechen weinte und sang mit trauriger Stimme:


     Grüne Bäume in den Hainen
Und ihr Blümlein bunt und schön,
Sternlein, die so freundlich scheinen
Und der Menschen Leid verstehn,
Und du süße Nachtlaterne,
Mildes frommes Mondenlicht,
Dem mein krankes Herz so gerne
Traulich sein Geheimniß spricht.

     Höret meine stillen Klagen,
Ach! mir brennt das junge Herz!

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_463.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)