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schlafen, und wir wollen einander nichts zu Leide thun. Die Mutter aber glaubte ihr nicht recht, als sie das erzählte, und meinte, sie müsse das Küchlein wohl irgendwo bei einem Nachbar aufgegriffen haben, und sie bedeutete Christinchen recht ernstlich, sie solle ihr die reine Wahrheit sagen, wie sie zu dem Küchlein gekommen sey. Aber das Kind blieb bei seiner Aussage, und spielte und tändelte fort mit dem Küchlein; und als sie zu Bett ging, legte sie es auf ihre Brust, und das Küchlein breitete seine Flügelchen aus, als wolle es Christinchen damit zudecken und wärmen, und schlief die ganze Nacht auf ihrer Brust.

Und den andern Morgen schickte die Weberin herum bei allen Nachbarn im ganzen Dorfe und ließ umfragen, ob jemand ein schneeweißes Hühnchen mit einem bunten Käppchen verloren hätte. Und die ließen ihr sagen, schneeweiße Hühner und Küchlein hätten sie gar nicht, auch sey keinem ein Küchlein verloren gegangen. Als diese Botschaft zurückkam, hüpfte und jube1te das Kind vor Freuden, daß es sein schneeweißes Küchlein behalten sollte; und die Mutter hatte noch viel größere Freude, denn sie hatte eine rechte Herzensangst gehabt, Christinchen möge das Küchlein irgendwo weggenommen und ihr gar was vorgelogen haben.

Und zwischen den beiden, dem kleinen Mädchen und dem weißen Küchlein, ward eine solche Freundschaft, daß es fast zu viel war; so daß die kleine Dirne nirgend seyn konnte, ohne daß das Küchlein mit ihr war, und daß sie nicht einmal so gern als sonst mit der Mutter in die Kirche gehn mogte, weil Schneeweißchen — so nannte sie

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_221.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)