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die noch bei Harvestehude stehen, erwartet. So sehr nun auch der Ritter bat, und so tief die arme Nonne ihr Verhängniß beklagte, so blieb sie doch ihrem Gelübde treu und verwarf festiglich sein Vorhaben, sie zu entführen. Und zuletzt sagte sie ihm feierlich für dieses Leben Valett, da sie gewillt, ihn fürder nicht wieder zu sehen; und vermahnte und tröstete ihn auf den Himmel. Nach diesem schmerzlichen Abschiede ist der Ritter sogleich aus dem Lande gezogen und geistlicher Ordensritter geworden, hierorts aber gänzlich verschollen.

Die grünen Eichen jedoch im stillen Klostergarten haben dazumal bei den nächtlichen Unterredungen einen Verräther verborgen gehalten, und wider die arme Nonne ist beim geistlichen Gericht eine schwere Anklage wegen unerlaubten Liebeshandels und gebrochenen Gelübdes erhoben. Und da sie nun nicht leugnen konnte, ihren vormaligen Verlobten zu mehreren Malen dort heimlich gesprochen zu haben, sonst aber, da der Ritter fern war, keinen Beweis für ihre Unschuld bringen konnte, so hielt man die schlimme Anschuldigung für erwiesen und verurtheilte sie zum Tode und zum Begräbniß auf freiem Felde in ungeweihter Erde.

Und ehe sie gerichtet wurde, hat sie’s erbeten, daß ihr Leib auf dem Klosterfelde, in dem Hügel, darauf ein junger Lindenbaum, begraben werde, und hat gesagt: „ich verwünsche den Lindenbaum, daß er niemals größer werde, als er jetzt ist, und das soll als ein Zeugniß gelten für meine Unschuld, denn so gewißlich er hinfort nicht mehr höher wachsen wird, so gewißlich sterbe ich, wie ich gelebt, als eine reine und unschuldige Braut Christi.“

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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)