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bei ihrer klösterlichen Obrigkeit. Darauf ist selbige in großer Procession mit vielen Priestern und Mönchen zu dem Garten gezogen, und an der bezeichneten Stelle hat man die Kohlpflanze ausgegraben, und allda ein Mirakel entdeckt. Denn die Wurzel gedachter Pflanze, die ungewöhnlich groß und stark gewesen,[1] hat das leibhaftige Bild unsres Heilandes am Kreuze gezeigt, so deutlich und augenscheinlich, daß Alle, die dabei gestanden, auf die Knie gefallen sind.

Diese wunderbare Kohlwurzel ist sodann ins Kloster zu Harvestehude gebracht, und allda in eine silberne Monstranz gefaßt, und auf Verlangen den Andächtigen gezeigt, die schaarenweise aus der Stadt und allen Landen ringsum herbeigezogen kamen, um das Wunder, davon die Geschichte in Jedermanns Munde, selbst zu sehen. Das begab sich im Jahre 1482.

Die Zauberschwester aber hat sogleich, als in ihrer Gegenwart das Geheimniß an den Tag kam, Alles gestanden, was Gotteslästerliches sie verübt, und bekannt, daß diese Kohlpflanze dieselbe sei, an deren Wurzel sie die heilige Hostie eingegraben. Darum ist sie billig dem Gerichte übergeben und nach dem Rechte an Leib und Leben gestraft worden.

Der Garten aber sank gleich, nachdem die Crucifix-Wurzel herausgenommen, in seine vorige Wüstenei zurück.

Ein halbes Jahrhundert später, als durch die Kirchen-Reformation in Hamburg Alles umgestaltet, und das Kloster Frauenthal zu Harvestehude zerstört war, kam die Monstranz mit der Wunderwurzel ins Johannis-Kloster zu Hamburg, welches nach Vertreibung der Mönche den lutherisch gewordenen Klosterjungfern eingeräumt war. Auch hier ist sie vielen

  1. Gegen 9 Zoll lang und 2 bis 3 Zoll breit, wie eine alte, in Kupfer gestochene „recht naturale Abbildung“ darthut.
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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)